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Fragen und Antworten

Eine Frage von Christine G.-M.:

Ich spritze seit Juni dieses Jahres Kineret (nach 5 Wochen ging es mir super) und sollte dabei versuchen, langsam Cortison und MTX abzusetzen. Nehme jetzt seit ein paar Wochen kein Cortison mehr und war beim MTX auch schon auf 7,5mg, merke jetzt allerdings doch wieder schleichend die bekannten Symptome. Hat jemand schon Erfahrungen, wie es nach dem Absetzen bzw. dem Ende der Kineret-Therapie weitergeht?

Die Antwort gibt Priv. Doz. Dr. med. H.E. Langer, 1.01.1970:

Kineret (Inhaltsstoff Anakinra) ist ein Medikament aus der Gruppe der sogenannten biologischen Therapien. Diese neuen biologischen Therapien hemmen die Entzündung bei der chronischen Polyarthritis (rheumatoiden Arthritis) durch gezielte Eingriffe in die Krankheitsabläufe bei dieser Erkrankung. Einige der biologischen Substanzen wirken dadurch, dass sie körpereigene Substanzen nachahmen, die im Körper für die Beendigung von Entzündungsprozessen zuständig sind. Andere biologische Substanzen hemmen körpereigene Botenstoffe, die für die Auslösung oder die Verstärkung von Entzündungsreaktionen verantwortlich sind. Im Fall von Kineret erfolgt die Wirkung durch die Blockade des Botenstoffs Interleukin-1 (IL-1), der eine zentrale Rolle bei der Auslösung und Verstärkung der Entzündungsreaktion spielt und dem vor allem auch eine wichtige Bedeutung bei der rheumatischen Zerstörung von Knochen und Gelenkknorpel zukommt. Genauere Informationen zu dem Wirkmechanismus der biologischen Substanzen und speziell auch zu Anakinra (Kineret) finden sich in rheuma-online auf den Seiten zu Anakinra (http://rheuma-online.de/anakinra/) und auf der Homepage unseres neuen TNF-alpha-Informationszentrums (http://www-tiz-info.de/).

Kineret ist in der Lage, die rheumatische Entzündung im günstigsten Fall komplett zu kontrollieren und ein Fortschreiten der rheumatischen Gelenkzerstörung zu verhindern. Oft gelingt dies aber nur in Kombination mit Methotrexat (Mtx). Deshalb ist Kineret in Europa bei der Therapie der rheumatoiden Arthritis auch nur in Kombination mit Mtx zugelassen (in den USA ist die Zulassung durch die amerikanische Zulassungsbehörde FDA anders, dort ist auch eine Monotherapie, d.h. nur mit Kineret allein ohne gleichzeitige Gabe von Mtx möglich). In der Regel erfolgt deshalb in Deutschland eine Behandlung mit Kineret in der Kombination mit Methotrexat. In bestimmten Fällen sind allerdings Ausnahmen möglich, z.B. wenn Mtx wegen Unverträglichkeit oder wegen Nebenwirkungen nicht gegeben werden kann.

Die Wirksamkeit der biologischen Therapien ist bei den meisten Patienten sehr hoch. Leider haben aber alle derzeitigen Substanzen aus dieser Gruppe, d.h. die TNF-alpha-Blocker Etanercept (Enbrel) und Infliximab (Remicade) sowie der IL-1-Blocker Anakinra (Kineret) den Nachteil, dass sie bei der überwiegenden Zahl der Patienten nur solange wirken, wie sie gegeben werden. Wird die Therapie beendet, kommt es manchmal schon sehr rasch, manchmal auch erst sehr langsam, erneut zum Auftreten von Krankheitssymptomen.

Bislang bestand unter den Rheumatologen auf der Grundlage der vorliegenden Daten aus den klinischen Studien die Auffassung, dass es in diesem Fall mit der Wiederaufnahme der Therapie, z.B. mit Enbrel, Remicade oder Kineret, gelingt, die Erkrankung dann erneut so erfolgreich zu kontrollieren wie zuvor.

Einige Beobachtungen aus neuerer Zeit deuten aber darauf hin, dass diese Vorstellung nicht in jedem Fall stimmt. So ist es bei einigen Patienten im Zusammenhang mit dem Versorgungsengpass von Enbrel und der damit verbundenen Zwangspause der Therapie zu teilweise schweren Krankheitsschüben gekommen, die auch mit dem sofortigen Wiederbeginn der Enbrel-Behandlung angehalten haben und sich in der Folge z.T. auch über mehrere Wochen oder Monate lang nur sehr schwer beherrschen ließen, beispielsweise die Gabe von hohen Dosen Cortison erforderlich machten.

Sehr ähnliche Erfahrungen liegen von Patienten vor, bei denen eine Therapie mit Enbrel wegen einer anstehenden Operation unterbrochen wurde und wo es bereits nach einer kurzen Behandlungspause zu schweren Schüben kam, die anschließend auch mit Wiederaufnahme der Enbrel-Therapie noch über Wochen bis Monate angehalten haben. Aktuell wurde auf der „Tochterseite“ von rheuma-online im TIZ-Forum (http://www.tiz-info.de) von einer Patientin berichtet, dass sie wegen eines Urlaubs in der Türkei mit Enbrel nur für 2 Wochen pausiert hat und es darunter zu einem erheblichen Schub gekommen ist, der derzeit, d.h. einige Wochen später, auch nach sofortigem Wiederbeginn der Enbrel-Therapie, unverändert anhält und eine Behandlung mit einer relativ hohen Cortisondosis von 30 mg pro Tag notwendig macht, nachdem das Cortison vorher unter der erfolgreichen Enbrel-Therapie auf eine Niedrigdosis von 5 mg pro Tag gesenkt werden konnte.

Für die Therapie mit Anakinra (Kineret) liegen vergleichbare Beobachtungen nicht vor. Im Gegenteil zeigen die Daten aus den vorliegenden klinischen Studien, dass es zu keinem Wirksamkeitsverlust der Kineret-Therapie kommt, wenn sie, z.B. wegen einer Infektion, für einen kurzen Zeitraum unterbrochen und anschließend wieder aufgenommen wurde. Man sollte aber angesichts der geschilderten Erfahrungen mit der TNF-Blockade auch bei der Therapie mit Kineret sehr vorsichtig mit Unterbrechungen der Therapie und insbesondere auch mit einer unnötigen, vorschnellen Beendigung dieser Therapie sein.

Warum schildere ich dieses alles so ausführlich? Um klarzumachen, dass eine langwirksame antirheumatische Therapie und offensichtlich insbesondere auch die krankheitskontrollierende Therapie mit den neuen biologischen Substanzen eine Behandlung ist, die über einen langen Zeitraum durchgeführt werden muß und nicht etwa sofort abgesetzt werden darf, wenn eine Besserung eingetreten ist. Vielmehr ist es von entscheidender Bedeutung für den weiteren Krankheitsverlauf, dass diese Therapie gerade dann unverändert und konsequent fortgesetzt wird, wenn sie wirkt.

Auch wenn das Beispiel nicht ganz zutrifft: Aber es käme doch kein Mensch in dieser Republik auf die Idee, bei einem Zuckerkranken das Insulin abzusetzen, wenn es endlich gelungen ist, durch eine gute Einstellung des Diabetes mellitus mit Insulin diese Erkrankung erfolgreich zu kontrollieren und den Patienten vor allen möglichen Spätfolgen dieser Erkrankung zu bewahren.

Natürlich stellt sich bei allen Medikamenten, die über einen längeren Zeitraum gegeben werden, die Frage nach den möglichen Spätfolgen (wobei diese Frage bei Insulin merkwürdigerweise keiner stellt, obwohl Insulin ein ganzes Leben lang gespritzt wird und obwohl Insulin genauso ein „biologisches Medikament“ ist wie die neuen biologischen Medikamente in der Rheumatologie). Dazu kann gegenwärtig im Falle der neuen biologischen Medikamente noch keine abschließende Bewertung abgegeben werden, da derzeit noch keine jahrelangen Erfahrungen mit diesen Substanzen vorliegen. Allerdings sind inzwischen die ersten Patienten, die seinerzeit diese Präparate im Rahmen von klinischen Prüfungen erhielten, nun durchgehend bereits über mehrere Jahre mit beispielsweise Enbrel oder Remicade behandelt worden.

Von diesen Patienten, die wegen der Teilnahme an den klinischen Studien auch im weiteren Verlauf sehr gut nachbeobachtet und dokumentiert wurden, wissen wir, dass es auch bei einer jahrelangen, durchgehenden Therapie mit diesen Medikamenten in der Regel nicht zum Auftreten ernsthafter, dauerhafter Schäden kommt. In Deutschland hat die Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie mit Unterstützung der Herstellerfirmen ein Register eingerichtet, in dem ebenfalls Daten zur Wirksamkeit und zur Sicherheit einer Therapie mit den neuen biologischen Medikamenten erhoben werden. In diesem Register ergeben sich bislang ebenfalls keine Hinweise, dass unter einer Behandlung mit diesen Medikamenten mit einem ernstzunehmenden Risiko von schweren Spätfolgen zu rechnen ist.

Im Fall der Kineret-Therapie sind die Behandlungszeiträume kürzer. Dafür liegen für Kineret Sicherheitsdaten aus der bislang weltweit größten Studie zur Behandlungssicherheit von biologischen Medikamenten vor, die ebenfalls zeigen, dass diese Therapie selbst bei einer kontinuierlichen Behandlung von sogenannten Hochrisikopatienten gut verträglich und sicher ist. Wir werden in Kürze in den rheuma-news über die Ergebnisse dieser Studie berichten.

Was wir heute aber definitiv wissen: Die rheumatoide Arthritis ist eine schwerverlaufende Erkrankung, die ohne eine wirksame Therapie nicht nur mit starken Schmerzen und zunehmenden Funktionseinschränkungen, fortschreitenden Zerstörungen der Gelenke, Behinderungen im täglichen Leben und erheblichen psychosozialen Folgen einhergeht, sondern die auch die Lebenserwartung der Betroffenen erheblich verkürzen kann. Je nach Schwere der Erkrankung und Lebensalter bei Erkrankungsbeginn führt die rheumatoide Arthritis durchschnittlich zu einer Verkürzung der Lebensdauer zwischen 3 und 18 Jahren. Dieses erhöhte Sterblichkeitsrisiko lässt sich aber nach neuen wissenschaftlichen Daten völlig aufheben, wenn die Erkrankung durch eine wirksame medikamentöse Therapie ausreichend kontrolliert wird. Zu einer solchen wirksamen, ausreichenden Krankheitskontrolle sind aber nach dem gegenwärtigen Kenntnisstand nur langwirksame Medikamente („Basistherapie“, DMARD´s = engl. disease modifying antirheumatic drugs, krankheitsmodifizierende Medikamente) und insbesondere die neuen biologischen, krankheitskontrollierenden Substanzen („DCARD´s“ = engl. disease controlling antirheumatic drugs) in der Lage.

Angesichts der Schwere der Erkrankung und der enormen Krankheitsfolgen der rheumatoiden Arthritis dürfen dabei bei gegebener Indikation Diskussionen um die Kosten dieser Therapien keine Rolle spielen. Ein Patient mit einer rheumatoiden Arthritis hat dasselbe Recht auf eine wirksame Therapie wie ein Patient mit Krebs, mit AIDS, mit einer schweren Herzerkrankung oder mit anderen schweren Erkrankungen, deren Behandlung die Kosten selbst der teuersten biologischen antirheumatischen Medikamente sehr oft bei weitem übersteigt.

Wann kann man daran denken, eine langwirksame antirheumatische und krankheitskontrollierende Therapie zu beenden? Diese Frage ist extrem schwierig zu beantworten.

Vernünftige Daten aus wissenschaftlichen Studien, die uns dabei weiterhelfen könnten, gibt es derzeit noch nicht.

Grundsätzlich kann man aber auf jeden Fall sagen, dass Überlegungen zu einem Auslassversuch einer gut wirksamen antirheumatischen Therapie erst in dem Augenblick begonnen werden können, wenn sich die Erkrankung anhaltend in einer kompletten Remission befindet. Eine komplette Remission liegt vor, wenn keine Symptome mehr bestehen und wenn sich im Blut keine Entzündungszeichen mehr nachweisen lassen. Dazu sollte man sich im Falle dieser wirklich folgenreichen Fragestellung nicht mit der alleinigen Bestimmung der Blutsenkung (BSG) und des CRP (c-reaktiven Proteins) begnügen, sondern eine umfangreiche Entzündungsdiagnostik mit einer breiten Palette der relevanten Parameter durchführen. Einen ersten Anhalt dazu, ob eine komplette Remission vorliegt, gewinnt man dadurch, dass man im Rahmen des OMORA-Programms von rheuma-online (http://rheuma-online.de/online-monitoring/) den eDAS-Test durchführt. Befindet man sich bei der Auswertung dieses Testes „im grünen Bereich“, deutet dies auf das Vorliegen einer Remission. Allerdings ist es wichtig, dass dieses Ergebnis nur durch die langwirksamen antirheumatische oder krankheitskontrollierende Therapie erzielt wurde. Erreicht man zwar Werte im grünen Bereich, wird dabei aber noch mit Cortison behandelt, und sei es auch in nur sehr geringen Dosierungen, kann ernsthaft noch nicht über die Beendigung der langwirksamen antirheumatischen oder krankheitskontrollierenden Therapie nachgedacht werden.

Liegt nun eine komplette Remission über ein halbes Jahr oder, wenn man zu den vorsichtigen Menschen gehört, über ein Jahr vor, kann über die Beendigung der langwirksamen antirheumatischen Therapie nachgedacht werden. Ich selber spreche mit meinen Patienten mit einer kompletten Remission einer chronischen Polyarthritis / rheumatoiden Arthritis erst dann über eine Änderung der laufenden „Basistherapie“, wenn die Remission je nach Ausgangsbefund, vorheriger Krankheitsaktivität, sonstiger Begleitumstände etc. für mindestens 6-12 Monate stabil war.

Wenn wir dann an eine Beendigung der Therapie herangehen, machen wir das dann in der Regel auch nicht abrupt, d.h. indem wir die Behandlung von jetzt auf gleich völlig beenden. Vielmehr wird die laufende Therapie zunächst noch für einen gewissen Zeitraum reduziert, je nach individueller Krankheits- und Behandlungssituation langsam ausschleichend über einige Wochen bis Monate. Darunter werden engmaschige Kontrollen der Krankheitsaktivität durchgeführt, um einen möglichen Rückfall so früh wie möglich zu erkennen und ggf. sofort wieder mit einer wirksamen Therapie zu beginnen.

Ansonsten orientieren wir uns bei der Durchführung der langwirksamen antirheumatischen und krankheitskontrollierenden Therapie der rheumatoiden Arthritis an der goldenen Regel der Fußballtrainer:

„Never change a winning team“,

was soviel heißt, dass man ohne Not eine gut wirksame antirheumatische Therapie zunächst einmal laufen lassen sollte und ohne vernünftigen Grund nicht ändern sollte. Damit sind nach unserem Eindruck die Patienten bislang sehr gut gefahren.

(11-10-2002)

 

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