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Fragen und Antworten

Eine Frage von Rüdiger L.:

Helfen Remicade, Etanercept oder andere

Mittel auch bei weit fortgeschrittenem Bechterew wie bei mir, denn meine Wirbelsäule ist komplett versteift? Welche Nebenwirkungen können auftreten?

Die Antwort gibt Priv. Doz. Dr. med. H.E. Langer, 4.08.2003:

Bei der Therapie des M. Bechterew sind für die einzelnen Behandlungsmöglichkeiten zwei Gesichtspunkte wichtig: Zum einen die Frage nach dem Krankheitsstadium, zum anderen die Frage nach der Krankheitsaktivität.

 

Das Krankheitsstadium beschreibt dabei, welche Veränderungen im Körper durch die Erkrankung im Krankheitsverlauf bereits oder auch noch nicht eingetreten sind. Die Krankheitsaktivität sagt aus, ob die Erkrankung im Augenblick aktiv ist und ob es damit sehr wahrscheinlich ist, dass sie bei unzureichender Behandlung weiter fortschreitet.

 

Auch im Hinblick auf die Symptome des Bechterews ist es wichtig, die beiden Aspekte auseinanderzuhalten. Beispielsweise können Schmerzen Ausdruck der Krankheitsaktivität sein, in diesem Fall sind die Schmerzen dann entzündlich bedingt, andererseits können sie auch Folge der bereits eingetretenen Veränderungen an der Wirbelsäule sein, z.B. der veränderten Statik und Folge der damit oft verbundenen Überlastungen der Muskulatur.

 

Bei der Entzündungsaktivität, d.h. der Krankheitsaktivität, muß die lokale entzündliche Aktivität von der sogenannten systemischen entzündlichen Aktivität unterschieden werden.

 

Die lokale Entzündungsaktivität ist die Entzündung vor Ort, beispielsweise im Bereich der Wirbelkörper (Spondylitis), der Bandansätze (Enthesitis) oder in den Gelenken (Arthritis), sei es in den Kreuz-Darmbein-Gelenken (Sakroileitis), den kleinen Wirbelgelenken (Spondarthritis) oder den Gelenken außerhalb der Wirbelsäule (z.B. stammnahe Arthritis der Schultergelenke oder der Hüften oder periphere Arthritis der Fingergelenke oder der Zehengelenke). Sie äußert sich durch Schmerzen vom entzündlichen Typ, d.h. typische Ruheschmerzen und Nachtschmerzen, Besserung bei Bewegung, ausgeprägte Steifigkeit nach längeren Ruhepausen, außerdem an den Gelenken durch Schwellungen und / oder Ergussbildungen.

 

Die systemische Entzündungsaktivität erkennt man in erster Linie durch Blutuntersuchungen, so vor allem durch eine erhöhte Blutsenkung und / oder ein erhöhtes c-reaktives Protein (CRP). Bei chronischen Entzündungen ist oft auch das sogenannte Gamma-Globulin in der Serum-Elektrophorese erhöht. Auf die durch diese Untersuchung messbare systemische Krankheitsaktivität geht bei der Einteilung des M. Bechterew der Begriff des „Gamma-Typs“ zurück, d.h. eine Krankheitsform mit hoher und anhaltender systemischer entzündlicher Aktivität.

 

Die heute zur Verfügung stehenden entzündungshemmenden Medikamente wirken unterschiedlich auf die lokale und die systemische entzündliche Aktivität.

 

So sind alle Medikamente aus der Gruppe der cortisonfreien Entzündungshemmer (nicht-steroidale Antirheumatika, NSAR) zwar mehr oder weniger gut in der Lage, die lokale Entzündungsaktivität zu beeinflussen. Auf die systemische Entzündungsaktivität haben sie aber keinen Einfluß. Dies gilt auch für die neuesten Entwicklungen aus dieser Substanzgruppe, die sogenannten Coxibe, die sehr spezifisch das Entzündungsenzym Cyclooxygenase-2 (COX-2, deshalb auch die Bezeichnung COX-2-Hemmer) hemmen, genauso wie alle anderen NSAR aber keinen Einfluß auf die Blutsenkung, das CRP oder andere Entzündungswerte im Blut haben wie das Gamma-Globulin.

 

Cortison ist der beste Entzündungshemmer, den wir kennen. Mit Cortison kann sowohl die lokale als auch die systemische Entzündungsaktivität schnell und wirksam reduziert werden.

 

Allerdings kann Cortison wegen der Nebenwirkung bei hoher Dosierung über einen längeren Zeitraum nicht dauerhaft in den oft benötigten Mengen gegeben werden. Außerdem ist nicht belegt, dass Cortison den Entzündungsprozeß beim M. Bechterew langfristig günstig beeinflusst die Erkrankung selber modifiziert, d.h. positiv im Verlauf beeinflusst.

 

In Analogie zum Vorgehen bei anderen entzündlich-rheumatischen Erkrankungen, z.B. der rheumatoiden Arthritis (chronischen Polyarthritis) oder bei der Psoriasisarthritis, werden deshalb heute beim M. Bechterew Medikamente aus der Gruppe der sogenannten langwirksamen Antirheumatika (LWAR, krankheitsmodifizierende Medikamente, DMARD´s = disease modifying antirheumatic drugs) eingesetzt. Leider liegen für die meisten der für die rheumatoide Arthritis zur Verfügung stehenden LWAR bei der Behandlung des M. Bechterew entweder keine oder nur geringe Erfahrungen aus klinischen Studien vor. Noch am besten etabliert ist aus der Gruppe der traditionellen LWAR die Substanz Sulfasalazin. Studiendaten belegen eine z.T. recht gute Wirksamkeit dieses Medikaments auf die periphere Arthritis bei einem M. Bechterew. Außerhalb von klinischen Studien zeigt die Anwendung dieses Präparats in der Praxis häufig auch eine gute Wirkung auf die Manifestationen im Bereich der Wirbelsäule und der Kreuz-Darmbein-Gelenke.

 

Revolutionär für die Therapie des M. Bechterew war die Entdeckung von Jürgen Braun und Wolfgang Sieper, Professoren an der rheumatologischen Abteilung im Klinikum Benjamin Franklin der Freien Universität Berlin, dass auch beim M. Bechterew die Krankheitsaktivität und die chronische Entzündung ganz entscheidend durch den Botenstoff TNF-alpha hervorgerufen und unterhalten wird.

 

Sie waren die ersten, die mit ihrer Arbeitsgruppe TNF-alpha-Hemmer bei der Behandlung des M. Bechterew einsetzen und die zeigen konnten, dass es darunter zu einer starken Entzündungshemmung und einem oft dramatischen Rückgang der Symptome kommt.

 

Durch klinische Studien ist die Wirkung der TNF-alpha-Hemmer bei der Behandlung des M. Bechterew mittlerweile sicher belegt. Die Pionierarbeit der Berliner Rheumatologen hat dazu geführt, dass im Mai 2003 der TNF-alpha-Blocker Infliximab (Remicade) von der Europäischen Zulassungsbehörde offiziell für die Behandlung des M. Bechterew zugelassen wurde. Studien aus den USA zeigen eine vergleichbare Wirkung beim M. Bechterew auf für den anderen TNF-alpha-Hemmer Etanercept (Enbrel). Es ist zu erwarten, dass innerhalb der nächsten Monate auch diese Substanz für die Behandlung des M. Bechterew zugelassen wird, vermutlich zunächst in den USA.

 

Insgesamt verfolgen die Rheumatologen heute zunehmend die Strategie, auch beim M. Bechterew eine konsequente medikamentöse Therapie mit krankheitsmodifizierenden Substanzen durchzuführen, d.h. wenn ein M. Bechterew aktiv ist, insbesondere auch, wenn eine systemische entzündliche Aktivität besteht, sollte eine entsprechende medikamentöse Therapie erfolgen, um die Erkrankung zu modifizieren oder bestenfalls zu kontrollieren.

 

Für den Einsatz von TNF-alpha-Blockern liegen dazu Konsensus-Empfehlungen von international anerkannten Experten vor. Danach sollte der Einsatz von TNF-alpha-Blockern beim M. Bechterew erwogen werden, wenn länger als 6 Monate eine systemische Entzündungsaktivität nachweisbar ist. Natürlich muß als Grundvoraussetzung die Diagnose gesichert sein. Außerdem sollte die Krankheitsdauer länger als 6 Monate betragen. Die erhöhte systemische Krankheitsaktivität kann u.a. über eine erhöhte Blutsenkung, ein erhöhtes c-reaktives Protein (CRP) oder andere Entzündungsparameter dokumentiert werden.

 

Weitere Voraussetzung ist ein Wert im BASDAI (Bath Ankylosing Spondylitis Disease Activity Index = Index zur Messung der Krankheitsaktivität bei der ankylosierenden Spondylitis) von mindestens 4. Der BASDAI wird von den Ärzten, die beim M. Bechterew TNF-alpha-Blocker einsetzen (in der Regel internistischen Rheumatologen), bei der Prüfung der Indikation eingesetzt.

 

Letztendlich ist aber die Entscheidung, ob der behandelnde Arzt beim M. Bechterew oder bei einer anderen seronegativen Spondarthritis TNF-alpha-Blocker einsetzt, eine individuelle Entscheidung und muß sowohl die Krankheitsvorgeschichte, den bisherigen Krankheits- und Behandlungsverlauf und den aktuellen Befund berücksichtigen. Im Einzelfall kann sich daraus sogar eine Abweichung von den Konsensusempfehlungen ergeben, da in Deutschland (formal) Therapiefreiheit besteht, d.h. ein Arzt kann TNF-alpha-Blocker auch dann verordnen, wenn nicht alle Voraussetzungen der Konsensus-Empfehlungen erfüllt sind.

 

Die Nebenwirkungen einer TNF-alpha-hemmenden Therapie entsprechen bei der Behandlung des M. Bechterew im wesentlichen den möglichen Nebenwirkungen, wie sie auch bei der Therapie der rheumatoiden Arthritis bekannt sind. Dazu finden sich in den entsprechenden Fragen und Beiträgen auf der Homepage des TNF-alpha-Informationszentrums umfangreiche Informationen.

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