Wohlstandskrankheit Gicht: Ein altes Leiden in neuem Licht?
Rund zwei Prozent der Bundesbürger leiden an Gicht. Bei dieser Stoffwechselstörung häuft der Körper so viel Harnsäure an, dass sich deren Kristalle in den Gelenken ablagern und dort Entzündungen verursachen. Mediziner haben inzwischen entschlüsselt, dass die körpereigene Abwehr bei der Erkrankung eine maßgebliche Rolle spielt.
Die Gicht ist eine angeborene Stoffwechselerkrankung, bei der es zur Anhäufung von Harnsäure im Körper und schließlich zur Ablagerung von nadelförmigen Harnsäurekristallen in Gelenken und Weichteilgeweben kommt.
Durch die Harnsäurekristalle wird bei typischem Krankheitsverlauf zunächst eine wiederkehrende akute Gelenkentzündung ausgelöst, die später in eine chronische Arthritis mit Zerstörung mehrerer Gelenke übergeht. Zudem kann sich die Harnsäure in kleinen Weichteilknoten (Gichttophi) ablagern und zu Nierensteinbildung führen. Die Gicht ist die häufigste Arthritis-Ursache bei Männern.
Harnsäure entsteht durch den Abbau von Purinen, also Bausteinen der Nukleinsäuren. Sie ist beim Menschen ein Stoffwechselendprodukt und wird über die Niere ausgeschieden. Ursache der Hyperurikämie, der zunächst symptomlosen Erhöhung der Harnsäurekonzentration im Blut als Vorstufe der Gicht, und der Gicht selbst ist fast immer eine angeborene Störung der Harnsäureaussscheidung und zusätzlich eine übermäßige Zufuhr von Purinen über die Nahrung.
Schon Hippokrates beschrieb die Gicht als eine Erbkrankheit, die sich unter anderem nach „Ausschweifungen zu Tische“ manifestiert. Seither gilt die Gicht als Wohlstandskrankheit, da meist gut situierte, übergewichtige Personen nach reichlichem Genuss von Fleisch und Alkohol vom „Zipperlein“ heimgesucht wurden.
Durch Fehl- und Überernährung mit purinreichen Nahrungsmitteln (zum Beispiel manche Fischsorten, Innereien, Fleisch) und zusätzlicher Hemmung der meist schon angeboren verminderten Harnsäureausscheidung durch Alkohol (oder auch durch Medikamente) kann der Harnsäuregehalt des Körpers auf das über 30-fache des Normalen ansteigen.
Gichtpatienten sind auch heute gehäuft übergewichtig und leiden vermehrt an Zuckerkrankheit und hohem Blutdruck. Hierdurch ergibt sich für Gichtpatienten ein deutlich erhöhtes kardiovaskuläres Risiko.
Die Harnsäureüberladung ist zunächst im Blut durch erhöhte Harnsäurespiegel (Hyperurikämie) erkennbar. Bei weniger als zehn Prozent der Betroffenen kommt es dann, meist erst nach vielen Jahren, plötzlich zum ersten Gichtanfall mit akuter, extrem schmerzhafter Entzündung eines Gelenks, in der Regel des Großzehengrundgelenks.
Diese Entzündung klingt nach einigen Tagen ab, unbehandelt folgen aber weitere Gichtanfälle. Schließlich geht die Gicht in ein chronisches Stadium über mit anhaltenden Gelenkschmerzen, zunehmender Gelenkzerstörung und Entwicklung von Gichttophi (chronische, tophöse Gicht).
Lange Zeit war unbekannt, wie die im Gewebe und in den Gelenken abgelagerten Harnsäurekristalle so heftige Entzündungen hervorrufen können. Erst in den letzten zehn Jahren wurde erkannt, dass diese Entzündung durch die Aktivierung des angeborenen Abwehr-(Immun-)systems vermittelt wird.
Dieses verfügt über Rezeptoren, die gewisse molekulare Muster von Krankheitserregern rasch erkennen und somit zunächst eine unspezifische entzündliche Abwehrreaktion einleiten können. Gleichzeitig wird das spezifische Immunsystem aktiviert. Eine Gruppe dieser Rezeptoren (Nod-like-receptors, NLR) befindet sich im Inneren von Immunzellen. Bei Aktivierung vermitteln diese NLR über eine komplexe Reaktionskaskade (lokalisiert in einem Proteinkomplex namens NALP3-Inflammasom) insbesondere die Bildung und Freisetzung des stark entzündungsfördernden Botenstoffs Interleukin-1ß (IL-1ß).
Bei der Gicht werden die im Gelenk ausgefallenen Harnsäurekristalle von bestimmten Immunzellen aufgenommen, aktivieren in der Zelle das NALP3-Inflammasom, wodurch IL-1ß freigesetzt wird, das schließlich die Entzündungsreaktion in Gang setzt, die klinisch als schmerzhafte Rötung, Überwärmung und Schwellung des Gelenks erkennbar ist.
Diese Erkenntnisse führten inzwischen zu ganz neuen therapeutischen Ansätzen bei der Gicht. Wenn die übliche Behandlung des Gichtanfalls mit schmerzlindernden und entzündungshemmenden Medikamenten nicht ausreichend wirksam ist, bestünde heute die Möglichkeit, die Wirkung von IL-1ß gezielt zu hemmen.
In der Rheumatologie stehen seit einigen Jahren mit Anakinra (ein IL-1-Rezeptorantagonist) und seit diesem Jahr mit Canakinumab (ein IL-1-Antikörper) zwei Substanzen zur Behandlung anderer rheumatischer Erkrankungen zur Verfügung, die ganz gezielt die Wirkung von IL-1ß blockieren und somit auch sehr effektiv den Entzündungsprozess bei der Gicht stoppen könnten. Beide Präparate sind zwar noch nicht zur Behandlung der Gicht zugelassen, positive Studienergebnisse liegen aber vor.
Grundlage der Behandlung von Hyperurikämie und Gicht bleiben natürlich weiterhin diätetische Maßnahmen und die medikamentöse Senkung des Harnsäurespiegels. Letzteres wird meistens durch Hemmung der Harnsäurebildung erreicht, wobei hierfür neben dem seit vielen Jahren verwendeten Präparat Allopurinol seit diesem Jahr die neue Substanz Febuxostat eingesetzt wird.
Die Gicht ist ein gutes Beispiel dafür, wie bei einer seit Jahrtausenden bekannten Erkrankung neue Erkenntnisse der Grundlagenforschung erst in den letzten Jahren zu einem besseren Verständnis der Erkrankungsmechanismen und schließlich zur Entwicklung ganz neuer therapeutischer Ansätze geführt haben.
Literaturhinweis:
Winzer M et al. Z Rheumatol 2009; 68: 733–739
Abstract
Quelle:
Vortrag: Professor Dr. med. Andreas Krause, Ärztlicher Direktor der Klinik für Innere Medizin, Abteilung Rheumatologie und Klinische Immunologie, Immanuel Krankenhaus Berlin
Pressekonferenz anlässlich des 38. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh), Donnerstag, 16. September 2010, Hamburg