Was passiert in den ersten fünf Krankheitsjahren bei der rheumatoiden Arthritis?

Bei der rheumatoiden Arthritis nimmt der radiologisch nachweisbare Gelenkschaden bei der Hälfte der Patienten während der ersten 5 Krankheitsjahre zu. Dies geht allerdings nicht parallel mit einer Verschlechterung der funktionellen Behinderung einher, da sich bei den meisten Patienten das Ausmaß der funktionellen Behinderung im gleichen Zeitraum verringert. Die Funktionskapazität hängt damit auch von anderen Faktoren ab.

(Mittwoch, 14.04.2004, Dr. med. Gabriele Moultrie / Priv. Doz. Dr. med. H.E. Langer)
Kategorie: Archiv bis Mai 2005

Im Rahmen einer Studie mit 191 Patienten im frühen Stadium einer rheumatoiden Arthritis (Krankheitsdauer unter einem Jahr) wurde über einen Beobachtungszeitraum von 5 Jahren untersucht, welche Parameter für den zu erwartenden Krankheitsverlauf eine Rolle spielen.

Zu Beginn und am Ende der Studie wurden verschiedene Parameter (Blutwerte, Ritchie-Index, d.h. ein Index zur Messung der Krankheitsaktivität so ähnlich wie der modernere DAS u.a.), der sogenannte Health Assessment Questionaire (kurz: HAQ, ein Instrument zur Messung der funktionellen Kapazität) und der radiologische Status erhoben. Der Health Assessment Questionaire ist ein Fragebogen, den die Patienten selbst ausfüllen und in dem sich das Ausmaß ihrer Behinderung und der Schmerzen durch die Erkrankung widerspiegelt.

Die Ergebnisse der Studie sahen folgendermaßen aus: Zu Beginn hatten 65% der Patienten eine HAQ-Wert > 1, nach 5 Jahren waren es nur noch 21% (Mittelwert für den HAQ zu Studienbeginn 1.3 (+/- 0.7 SD), nach 5 Jahren 0.6 (+/- 0.6 SD). Zu Beginn lagen 98 Patienten (65.3%) mit ihrem HAQ-Score über 1,0. Nach 3 Jahren waren es nur noch 46 Patienten (27.4%), nach 5 Jahren sogar nur noch 34 Patienten (21.8%). Außerdem wiesen über den gesamten Beobachtungszeitraum 90% der Patienten eine Verbesserung im HAQ-score auf. Der HAQ-Wert am Ende der Studie – also das Ausmaß der Behinderung – war abhängig vom HAQ-Wert zu Beginn, dem Ritchie-Index, der Blutsenkungsgeschwindigkeit, der Höhe des C-reaktiven Ptoteins und der Anwesenheit von Knochendefekten (Erosionen) zu Beginn der Studie.

Keinen Einfluß auf den HAQ-Wert hatten das Geschlecht, das Alter, IgM oder IgA Rheumafaktoren und der HLA-Status.

Bezüglich der radiologischen Veränderungen ließ sich folgendes feststellen: Zu Beginn der Studie wiesen 58% der Patienten keine Knochendefekte (Erosionen) auf. Nach 3 Jahren waren es nur noch 24% und nach 5 Jahren waren es noch 22%. Insgesamt kam es während der 5 Jahre bei 56% der Teilnehmer zu einer Verschlechterung der Röntgenbefunde .

Zusammenfassend läßt sich sagen, dass es während der ersten 5 Krankheitsjahren bei der Hälfte der Patienten zu einer Zunahme der radiologisch nachweisbaren Schäden kommt. Andererseits verbessert sich bei diesen Patienten der HAQ-Index als Wert für den Behinderungsgrad während dieses Zeitraumes. In die Behinderung gehen also auch andere Faktoren ein als die radiologisch sichtbaren Gelenkveränderungen.

Der HAQ-Index nach 5 Jahren hängt von HAQ-Index zu Beginn der Erkrankung, dem anfänglichen Ritchie-Index, der Blutsenkungsgeschwindigkeit, der Höhe des C-reaktiven Proteins und der Anwesenheit von Knochendefekten bei Erkrankungsbeginn ab.

Kommentar von Priv. Doz. Dr. med. H.E. Langer:

Die Studie zeigt zum einen, daß die rheumatoide Arthritis keine harmlose Erkrankung ist, sondern ein sehr ernstes Krankheitsbild, das bei mehr als 80% aller Patienten innerhalb der ersten 5 Jahre zu irreversiblen, d.h. unumkehrbaren Gelenkzerstörungen im Röntgenbild führt. Diese Beobachtung verstärkt einmal mehr die Forderung nach einer möglichst frühzeitigen Diagnose und einer rechtzeitig eingeleiteten und wirksamen Therapie.

Zum anderen bestätigt die Studie die bekannte Tatsache, daß das Ausmaß der krankheitsbedingten Behinderung nicht alleine von den Veränderungen im Röntgenbild abhängt. Dies gilt insbesondere für die ersten Jahre der Erkrankung, in denen die radiologisch sichtbare Gelenkzerstörung noch nicht so stark ist. Aus anderen Studien wissen wir, daß sich die Situation ändert, wenn im weiteren Krankheitsverlauf und bei einer unzureichenden Krankheitskontrolle die Röntgenveränderungen weiter zunehmen. Insbesondere wenn sich Gelenkfehlstellungen entwickeln und größere Knochen- und Knorpeldefekte bestehen, kommt es auch parallel zu einer zunehmenden Einschränkung der funktionellen Kapazität.

Nicht zuletzt unterstützt die Studie die wachsende Erkenntnis, daß ein schlechter HAQ-Wert zu Krankheitsbeginn neben der initialen Krankheitsaktivität ein wesentlicher prognostischer Marker ist. Dies ist ein Argument dafür, neben den üblichen Parametern zu Beginn der Erkrankung auch den HAQ zu messen. Wie wir aus einer anderen Studie wissen, wird dies leider vielfach selbst in rheumatologischen Behandlungssettings derzeit noch nicht überall in der gewünschten Intensität durchgeführt.

Keywords:

HAQ-Index, Health Assessment Questionaire, rheumatoide Arthritis, RA, chronische Polyarthritis, cP, radiologische Progression, Röntgenverlauf, Prognose, 5-Jahres-Follow-up

Literatur: Combe B, Cantagrel A, Goupille P, Bozonnat MC, Sibilia J, Eliaou JF, Meyer O, Sany J, Dubois A, Daures JP, Dougados M. Predictive factors of 5-year health assessment questionnaire disability in early rheumatoid arthritis. Service d'Immuno-Rhumatologie, CHU Montpellier, INSERM U454, 34295 Montpellier cedex 5, France. b-combe@chu-montpellier.fr J Rheumatol. 2003 Nov;30(11):2344-9.

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