AION bei infektiösen und entzündlichen Erkrankungen: Differentialdiagnostisches Vorgehen

Dieser Beitrag behandelt die diagnostischen Maßnahmen, die bei Verdacht auf eine entzündliche Ursache einer AION durchgeführt werden sollten.

(Sonntag, 14.09.2003, Priv. Doz. Dr. med. H.E. Langer)
Kategorie: Archiv bis Mai 2005

AION bei infektiösen und entzündlichen Erkrankungen: Differentialdiagnostisches Vorgehen

Hans-Eckhard Langer, Renate Unsöld

Interdisziplinäres Symposium: Sehnerveninfarkt AION (vordere ischämische Optikopathie, Apoplexia papillae)

Neue Erkenntnisse zur Ätiologie, Pathogenese, Diagnostik und Therapie

12. und 13. September 2003, Rheinterrassen Düsseldorf

Eine zielgerichtete Differentialdiagnostik zur Ursache einer AION setzt eine umfassende Anamnese und eine sorgfältige klinische Untersuchung voraus. Anschließende Laboruntersuchungen erfolgen im ersten Schritt als Screening auf eine mögliche entzündliche Genese. Diese Parameter sollten im Regelfall bereits durch den Ophthalmologen veranlasst werden. Bei Verdacht auf eine infektiöse Ursache einer AION oder das Vorliegen einer entzündlich-rheumatischen oder immunologischen Systemerkrankung werden in einem zweiten Schritt umfangreiche weitere Laboruntersuchungen notwendig, die üblicherweise durch den Spezialisten (internistischer Rheumatologe, klinischer Immunologe) durchgeführt werden.

Von besonderer Bedeutung ist dabei die möglichst unverzügliche Vorstellung des Patienten beim Spezialisten, da es speziell bei der infektiologischen Diagnostik oft ein nur schmales diagnostisches Fenster gibt, in dem die sichere Zuordnung zu einem auslösenden Erreger möglich ist. Im Fall der entzündlich-rheumatischen und immunologischen Erkrankungen ergeben sich diagnostische Probleme häufig dann, wenn vor der rheumatologischen und immunologischen Untersuchung bereits eine ungezielte Cortisontherapie eingeleitet wurde, oft zudem noch mit sehr hohen Dosierungen, und dadurch wesentliche diagnostische Befunde kaschiert werden. Nicht selten werden dadurch, gerade auch bei in der Folge anhaltender Steroidpflichtigkeit, Diagnosen unmöglich oder sehr erschwert, die bei gutem Timing in der Anfangsphase der Erkrankung mit vergleichsweise wenig Aufwand zu stellen gewesen wären.

Basale Entzündungsdiagnostik bei einer AION

Obligat ist vor Beginn einer jeden Therapie eine basale Entzündungsdiagnostik, die als Minimalstandard folgende Parameter beinhalten sollte:

- Blutsenkungsgeschwindigkeit (BSG)

- c-reaktives Protein (CRP)

- großes Blutbild (einschließlich Differentialblutbild und Thrombozyten)

Bei dringlicher Indikation zu einer Therapieeinleitung, z.B. bei klinisch eindeutigen Hinweisen auf eine Arteriitis temporalis, u.U. sogar mit bereits vorausgegangener Amaurosis fugax, muß das Ergebnis dieser Befunde nicht abgewartet werden. Das Zeitintervall bis zur weitergehenden Diagnostik sollte aber maximal 2-3 Tage betragen, da speziell unter einer Cortisontherapie bereits nach kurzer Zeit die Befunde der immunologischen Diagnostik verfälscht werden können (beispielsweise falsch-negative Befunde bei der Auto-Antikörper-Diagnostik).

In der Praxis hat es sich bewährt, bei der ersten Blutentnahme vor Therapiebeginn eine zusätzliche Serum-Monovette abzunehmen und das Serum zu konservieren, damit ggf. später notwendige spezielle Tests nachgeholt werden können.

Spezielle rheumatologisch-immunologische Untersuchungen

Die erweiterte Labordiagnostik erfolgt anamnese- und befundgeleitet; auf Spezialistenebene sollte dazu ein stratifiziert angelegtes, standardisiertes Untersuchungsprogramm durchgeführt werden (gezielte immunologische und infektserologische Diagnostik zur Diagnosesicherung sowie erweiterte Screenings als Ausschlussdiagnostik).

Klinisch-chemische Befunde umfassen unter der Fragestellung einer Organbeteiligung und zur Frage möglicher Kontraindikationen im Hinblick auf die anstehende Therapie insbesondere Nierenfunktionsparameter und die „Leberwerte“, außerdem Urin-Untersuchungen. Folgende Parameter sollten dabei als Minimalstandard obligat bestimmt werden:

- Kreatinin

- Transaminasen

- Urin-Status

- Urin-Sediment

Zur Erweiterung der Entzündungsdiagnostik empfiehlt sich die Bestimmung von Immunglobulinen und Akute-Phase-Parametern wie

- IgG

- IgA

- IgM

- Serum-Elektrophorese

Die spezielle immunologische Labordiagnostik erfolgt in der Regel im Rahmen der konsiliarischen Abklärung und lässt sich im wesentlichen in verschiedene Kategorien einteilen:

Spezielle Labordiagnostik bei entzündlich-rheumatischen Erkrankungen, z.B. rheumatoide Arthritis, Spondarthritiden, Psoriasisarthritis etc:

- Rheumafaktoren einschließlich Subtypisierung (Latex-Test, Waaler-Rose, ELISA)

- CCP-Antikörper (cyclische citrullinierte Peptide, Filaggrin-Antikörper)

- HLA DR4 (rheumatoide Arthritis, andere?)

- bei positivem HLA DR 4: shared epitopes: HLA DRB1*04…

- HLA B27 (M. Bechterew, seronegative Spondarthritiden / Spondylarthropathien)

Spezielle Labordiagnostik bei Kollagenosen, z.B. systemischer Lupus erythematodes (SLE), Mischkollagenose (Sharp-Syndrom), undifferenzierte Kollagenosen, primäres Sjögren-Syndrom, Sklerodermie, CREST-Syndrom etc:

- ANA (antinukleäre Antikörper)

- dsDNA-AK (Antikörper gegen doppelsträngige DNA)

- ENA-Gruppe (U1-nRNP, SM, SS-A, SS-B, Zentromer-AK, Jo-1)

- Cardiolipin-Ak (IgG, IgM)

- Beta 2-Glykoprotein-Ak

Spezielle Labordiagnostik bei Vaskulitiden, z.B. klassische Panarteriitis nodosa, M. Wegener, Churg-Strauss-Syndrom, mikroskopische Polyangiitis etc.:

- ANCA ggf. einschl. Subklassen

- Proteinase 3 (PR-3)

- Myeloperoxidase (MPO)

- Infektserologische Diagnostik zur Abklärung der Vaskulitis-Ursache, z.B. Hepatitis B, Hep. C

- Kryoglobuline

Die weitere immunologische Diagnostik richtet sich auf weitere mögliche Ursachen wie Autoimmunthyreopathien, Sarkoidose u.a. und beinhaltet u.a. folgende Parameter:

- Mikrosomale Antikörper (TPO)

- Thyreoglobulin-AK (TG)

- ACE (Angiotensin Converting Enzyme)

- Lysozym

- Il 2-Rezeptoren

Infektserologische Untersuchungen

Die infektserologische Diagnostik richtet sich in der ersten Stufe auf die wichtigsten Erreger und umfasst bei den viralen Erregern:

- EBV-IgG (Ebstein-Barr-Virus)

- EBV-IgA

- ggf. EBV-IgM (in der Regel liegen keine Erstinfektionen, sondern Reaktivierungen vor)

- EBV-EA (early antigen)

- EBNA

- CMV-IgG (Cytomegalie-Virus)

- CMV-IgM

- HHV-6 IgG (humanes Herpes-Virus 6)

- HHV-6 IgM

Zusätzlich in Abhängigkeit von Anamnese und Befund:

- HIV

- Hepatitis A

- Hepatitis B

- Hepatitis C

- Parvovirus B19

Zur Abklärung oder zum Ausschluß einer infektreaktiven Genese mit bakteriellen Erregern sollten insbesondere folgende Untersuchungen erfolgen:

- Chlamydia pneumoniae (IgG, IgA, IgM)

- Mycoplasma pneumoniae (IgG, IgA, IgM)

- Yersinien IgG, IgA, ggf. IgM, ELISA, ggf. zusätzlich Blot)

- Borrelien (IgG, IgM, ELISA, ggf. zusätzlich Blot)

- Streptokokken-Antistreptolysin-Titer (ASL)

Die entsprechende Diagnostik sollte vorzugsweise mittels ELISA durchgeführt werden, da mit dieser Methode eine Differenzierung der spezifischen IgG-, IgA- und IgM-Antikörper erfolgen kann. Ältere, oft noch verwendete Verfahren, speziell die Komplementbindungsreaktionen (KBR) erfassen nur IgM-Antikörper und sind damit oft trotz durchgemachter Infektion negativ, weil IgM-Antikörper bei vielen Erregern nur innerhalb der ersten 6-8 Wochen nachweisbar sind.

Im Einzelfall werden weitere infektionsserologische Untersuchungen bzw. eine weitere infektiologische Diagnostik erforderlich, beispielsweise auf Infektionen mit:

- Lues

- Tuberkulose

- Leptospirose

- Coxiella Burnetii

- Schistosoma

- Filarien

Die Erfahrungen aus der intensiven interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen Neuroophthalmologie und klinischer Immunologie einschließich Infektiologie zeigen, dass sich bei gezielter Suche in vielen Fällen einer AION die Ursache klären oder zumindest doch eine wahrscheinliche Ursache identifizieren lässt. Für den diagnostischen Erfolg spielt ein strukturiertes Vorgehen eine entscheidende Rolle, da bei einem Teil der Patienten die AION monosymptomatisch verläuft und nicht mit anamnestisch fassbaren Symptomen außerhalb des Auges einhergeht. Ebenso fehlen bei einem Teil der Patienten bei der klinischen Untersuchung pathognomonische Befunde, die eine gezielte, hypothesengeleitete weitere Diagnostik ermöglichen. In diesen Fällen gelingt die ätiopathogenetische Zuordnung nur durch eine systematische Labordiagnostik.

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Priv. Doz. Dr. med. H.E. Langer

Schwerpunktpraxis für Rheumatologie, klinische Immunologie und Infektiologie

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