AION bei infektiösen und entzündlichen Erkrankungen: Therapeutisches Vorgehen – Akute und langfristige Maßnahmen

Dieser Beitrag behandelt die Differentialtherapie bei entzündlichen Grunderkrankungen als Ursache einer AION. Diskutiert wird auch die Problematik der Steroidtherapie.

(Sonntag, 14.09.2003, Priv. Doz. Dr. med. H.E. Langer)
Kategorie: Archiv bis Mai 2005

AION bei infektiösen und entzündlichen Erkrankungen: Therapeutisches Vorgehen – Akute und langfristige Maßnahmen

Hans-Eckhard Langer

Interdisziplinäres Symposium: Sehnerveninfarkt AION (vordere ischämische Optikopathie, Apoplexia papillae)

Neue Erkenntnisse zur Ätiologie, Pathogenese, Diagnostik und Therapie

12. und 13. September 2003, Rheinterrassen Düsseldorf

Therapie der AION bei entzündlich-rheumatischen und immunologischen Systemerkrankungen

Liegt eine nicht-infektiöse entzündliche Ursache der AION vor, richtet sich die Therapie der Grunderkrankung auf die möglichst schnelle Reduktion der lokalen und systemischen Entzündungsaktivität. In der Akutsituation geschieht dies am schnellsten durch den Einsatz von Steroiden. Speziell bei der häufigsten entzündlichen Ursache einer AION, der Arteriitis temporalis (Riesenzellarteriitis, M. Horton), ist schon bei klinischem Verdacht die sofortige Therapie mit Cortison obligat notwendig. Eine analoge Situation liegt bei anderen nekrotisierenden Vaskulitiden vor.

Im Krankheitsverlauf ist bei den meisten entzündlich-rheumatischen und immunologischen Systemerkrankungen eine Monotherapie mit Cortison nicht krankheitsmodifizierend, d.h. eine alleinige Behandlung mit Steroiden ist bei diesen Erkrankungen oft nicht in der Lage, eine anhaltende Remission zu induzieren. Die initiale Therapie mit Corticosteroiden wird deshalb in der Regel bei diesen Erkrankungen durch eine krankheitsmodifizierende, remissionsinduzierende Therapie ergänzt. Durch diese Therapie soll gleichzeitig erreicht werden, die Cortisondosis möglichst schnell zu reduzieren und die – bei anhaltender Therapiedauer in hoher Dosierung – obligat eintretenden unerwünschten Wirkungen des Cortisons, insbesondere auch die Entstehung einer Osteoporose und von osteoporotischen Frakturen, zu vermeiden oder wenigstens in ihrem Risiko zu reduzieren.

Bei der Arteriitis temporalis wird dazu schon seit einigen Jahren in Analogie zum Vorgehen bei der Therapie der rheumatoiden Arthritis vorzugsweise Methotrexat eingesetzt. Nach positiven Erfahrungen aus der praktischen rheumatologischen Anwendung liegt nun auch eine entsprechende placebo-kontrollierte Studie vor, in der bei der Riesenzellarteriitis eine Monotherapie mit Cortison plus Placebo mit einer Kombination aus Cortison und Methotrexat verglichen wurde. Die zusätzliche Methotrexatgabe resultierte in einer geringeren Zahl von Rezidiven, einer insgesamt kürzeren Behandlungsdauer und einer deutlichen Einsparung von Cortison.

Eine vergleichbare Behandlungsstrategie erfolgt bei anderen entzündlich-rheumatischen und immunologischen Grunderkrankungen. Die Differentialtherapie entspricht hier dem üblichen, in der Rheumatologie und klinischen Immunologie etablierten Vorgehen.

Wenn es sich bei der AION nicht um das Erstsymptom einer Vaskulitis handelt, sondern um eine Komplikation im Krankheitsverlauf und unter laufender Therapie, muß diese im Hinblick auf ihre Wirksamkeit überprüft werden. Diskutiert werden muß in diesem Fall auch die Möglichkeit einer mittelbaren Ursache für die AION, beispielsweise dem Auftreten eines sekundären Cardiolipin-Antikörper-Syndroms, mit der Notwendigkeit einer entsprechenden thrombozyten-aggregationshemmenden Therapie, ggf. je nach Krankheitsbild und Manifestationsform auch einer Marcumartherapie. Erwogen werden muß nicht zuletzt trotz der entzündlichen Grunderkrankung, ob die AION in dem vorliegenden Fall tatsächlich entzündlich bedingt ist oder auf eine nicht-entzündliche Ursache zurückgeht, beispielsweise eine komplizierende, sekundäre Arteriosklerose im Rahmen der Grunderkrankung. Eine weitere differentialdiagnostische Überlegung mit entsprechenden therapeutischen Konsequenzen betrifft die Frage, ob es in der Folge der immunsuppressiven Therapie zu einer Infektionskomplikation oder zu einer Re-Aktivierung einer latent vorhandenen chronischen Infektion gekommen ist (z.B. EBV, Hepatitis C), die nun ihrerseits über einen völlig anderen als den primär zu vermutenden Mechanismus die AION ausgelöst hat (beispielsweise durch eine Kryoglobulinämie im Rahmen der Hepatitis C).

Therapie der AION in der Folge von Infektionen

Problematisch ist die therapeutische Situation bei der Konstellation einer initialen Infektion und einer nachfolgenden AION. Ist die Infektion zum Zeitpunkt der Manifestation der AION noch floride, ist meist eine gezielte Therapie indiziert, soweit sie zur Verfügung steht.

Da es sich bei der Mehrzahl der Infektionen, die mit einer AION assoziiert sind, um virale Erreger handelt, sind hier allerdings effektive, gezielte antivirale Behandlungsmöglichkeiten oft nicht vorhanden.

Das zweite Problem im Kontext von AION und Infektionen ist die Frage nach dem genauen ätiopathogenetischen Zusammenhang. In vielen Fällen ist die genaue Ätiopathogenese einer AION in der Folge von Infektionen noch nicht geklärt. Therapeutisch ist beispielsweise von Bedeutung, ob es unter der Infektion zu einer infektinduzierten Autoimmunreaktion gekommen ist, speziell auch, ob die AION über eine Vaskulitis vermittelt wird, die dann – trotz der initialen und u.U. sogar aktuell noch persistierenden Infektion - mit Steroiden und / oder einer weitergehenden Immunsuppression behandelt werden müsste, oder ob sich die AION über andere Mechanismen manifestiert hat, z.B. ein durch die Infektion induziertes Cardiolipin-Antikörper-Syndrom. In diesem Fall wäre die Therapie der ersten Wahl eine Therapie mit Thrombozytenaggregationshemmern, eine hochdosierte Cortisontherapie dagegen u.U. sogar eher ungünstig oder im schlimmsten Fall sogar fatal.

Problematik der Steroidtherapie

Mittlerweile liegen eine Reihe von Beobachtungen vor, bei der eine AION unter der Annahme einer entzündlichen Genese hochdosiert mit Steroiden behandelt wurde und es im Verlauf nach einer – manchmal initial zu beobachtenden Verbesserung – im weiteren Verlauf zu einer progredienten Verschlechterung kam, im ungünstigsten Fall bis hin zu einer Mitbeteiligung des kontralateralen Auges und einer vollständigen beidseitigen Erblindung. Die sorgfältige Aufarbeitung der Anamnese und der vorliegenden Befunde zeigt in diesen Fällen eine initiale Infektion mit zumeist viralen (EBV, CMV), aber auch bakteriellen (Mykoplasma pneumoniae) Erregern.

Völlig unklar ist die Situation im Fall einer Infektion mit Chlamydia pneumoniae. Dieser Keim wird in einen Zusammenhang mit der Ätiopathogenese einer Arteriitis temporalis gebracht, bei der eine Therapie mit Steroiden ohne jeden Zweifel eine dringliche Indikation darstellt und in der Regel auch zu einer kompletten Remission führt.

Andererseits liegen gut dokumentierte Krankheitsverläufe vor, bei denen es in der Folge einer (zunächst nicht diagnostizierten bzw. nicht als relevant für die Entwicklung der AION eingeschätzten) Infektion mit Chlamydia pneumoniae zu einer AION kam, die sich unter einer initialen hochdosierten Steroidtherapie massiv verschlechterte, dann jedoch innerhalb kurzer Zeit unter starker Reduktion der Cortisondosis, Einleitung einer antibiotischen Therapie und gleichzeitiger Antikoagulation dramatisch besserte und zuletzt komplett remittierte.

Gegenwärtig können für den Fall einer möglichen infektinduzierten Genese einer AION keine verbindlichen Therapieempfehlungen gegeben werden. Unsere aktuelle Therapiestrategie orientiert sich im individuellen Einzelfall zum einen an begleitenden Befunden, insbesondere auch der Frage, ob zusätzliche Faktoren nachweisbar sind (ausgeprägte Thrombozytose, Cardiolipin-Antikörper, Kryoglobuline), zum anderen am zeitlichen Verlauf. Dabei spricht ein vollständig freies Intervall zwischen der initialen Infektion und dem Auftreten der AION für eine immunologisch vermittelte Ursache; in diesem Fall ist ein kritisch indizierter und sehr engmaschig überwachter Therapieversuch mit Steroiden zu diskutieren. Liegen dagegen Infektion und das Auftreten der AION zeitlich sehr nahe beieinander oder überlappen sie sich sogar, d.h. entwickelt sich die AION unter der laufenden, noch symptomatischen Infektion, ist eine primär immunologisch vermittelte Ursache eher unwahrscheinlich. Damit verzichten wir in einer solchen Situation auf den primären Einsatz von Steroiden.

Priv. Doz. Dr. med. H.E. Langer

Schwerpunktpraxis für Rheumatologie, kllinische Immunologie und Infektiologie

am Evangelischen Krankenhaus Düsseldorf

Fürstenwall 99

40217 Düsseldorf

Tel. 0211 – 99 444 77

Fax 0211 – 99 444 80

E-Mail: Dr.Langer@rheuma-online.de

 

Copyright © 1997-2024 rheuma-online
rheuma-online Österreich
 
Alle Texte und Beiträge in rheuma-online wurden nach bestem Wissen und Gewissen erstellt. Irrtümer sind jedoch vorbehalten. Alle Angaben sind ohne Gewähr. Jegliche Haftungsansprüche, insbesondere auch solche, die sich aus den Angaben zu Krankheitsbildern, Diagnosen und Therapien ergeben könnten, sind ausgeschlossen.