Enbrel oder Remicade: Wann zahlt die Krankenkasse?

Versicherte von gesetzlichen Krankenkassen sehen sich zunehmend mit dem Problem konfrontiert, dass sie mit der Verordnung von wirksamen Medikamenten wie TNF-Blockern Probleme bekommen. Hier die wichtigsten Bestimmungen, bei wem und unter welchen Voraussetzungen eine solche Therapie auch bei Kassenpatienten möglich ist.

(Sonntag, 18.05.2003, Priv. Doz. Dr. med. H.E. Langer)
Kategorie: Archiv bis Mai 2005

Da sich derzeit eine Reihe von Anfragen an rheuma-online und Diskussionen im Forum mit dieser Thematik beschäftigen, hier auch zu dieser Frage die aktuellen Facts.

Die Verordnung von Enbrel für Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung ist für die verschiedenen Indikationen unterschiedlich.

1. Chronische Polyarthritis / rheumatoide Arthritis), juvenile chronische Arthritis (chronische Arthritis bei Kindern und Jugendlichen), Psoriasisarthropathie

Grundvoraussetzung ist die gesicherte Diagnose einer rheumatoiden Arthritis, einer juvenilen chronischen Arthritis oder einer Psoriasisarthritis. Außerdem muß die Arthritis aktiv sein. Vor dem Einsatz von TNF-alpha-Blockern wie Enbrel oder Remicade muß zuvor eine Therapie mit konventionellen langwirksamen Antirheumatika versucht worden sein. Die medizinische Notwendigkeit und damit der Anspruch auf diese Therapie für Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung ist gegeben, wenn diese traditionellen langwirksamen Antirheumatika nicht oder nicht ausreichend gewirkt haben. Die Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie gehen dahin, dass solche Präparate über einen Zeitraum von mindestens 6 Monaten eingesetzt wurden und dass vor Einsatz von TNF-alpha-Blockern mindestens zwei traditionelle langwirksame Antirheumatika verordnet wurden, darunter Methotrexat in einer ausreichend hohen Dosierung über einen ausreichend langen Zeitraum:

... trotz entsprechender Behandlung aktive Erkrankung, d.h. Versagen zumindest zweier konventioneller Basistherapeutika, eines davon Methotrexat; die Therapie hiermit sollte allein oder in Kombination in adäquater Dosis über einen ausreichend langen Zeitraum (in der Regel insgesamt 6 Monate) erfolgt sein..."

Bei den Zulassungsstudien war die wöchentliche Methotrexatdosis vor dem Einsatz von TNF-alpha-Blockern bei Erwachsenen in der Regel durchschnittlich 15 mg, so dass man sich bei der Frage nach der adäquaten Dosis daran orientieren kann. Als ausreichend langer Zeitraum für die Methotrexat-Therapie kann im Normalfall von 3 Monaten ausgegangen werden.

Die Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie stehen derzeit in einer intensiven Diskussion, insbesondere auch vor dem Hintergrund internationaler Konsensus-Empfehlungen, nach denen mit dem Einsatz von TNF-alpha-Blockern in schweren Fällen und bei sehr ungünstigen Verlaufsformen nicht zwingend erst das Versagen von zwei traditionellen langwirksamen Antirheumatika und ein Zeitraum von 6 Monaten abgewartet werden muß, auch wegen der zunehmenden Gewißheit aus immer mehr Studien, dass es bei der rheumatoiden Arthritis ein "therapeutisches Fenster" gibt, in dem sich die Prognose und der zukünftige Verlauf der Erkrankung maßgeblich entscheidet, und nicht zuletzt auch wegen der Zulassung von Enbrel in den USA für die frühe rheumatoide Arthritis.

2. Ankylosierende Spondylitis (M. Bechterew)

Auch beim M. Bechterew ist die gesicherte Diagnose Grundvoraussetzung für die Therapie mit TNF-alpha-Blockern. Genau wie bei den anderen, oben genannten Erkrankungen muß eine aktive Erkrankung vorliegen. Die Krankheitsaktivität muß mit geeigneten Methoden entsprechend dokumentiert werden. Die Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie nennt dazu den BASDAI (Bath Ankylosing Spondylitis Disease Activity Index = Bath (Ort in England) Krankheits-Aktivitäts-Index für die ankylosierende Spondylitis), ein international verwendetes Instrument für die Messung der Krankheitsaktivität beim M. Bechterew. Dieser Index sollte unter einer maximal dosierten Therapie mit cortisonfreien Entzündungshemmern („nicht-steroidale Antirheumatika“, NSAR) über einen Zeitraum von mindestens zwei Monaten Werte über 4 aufweisen. Außerdem sollten parallel die Entzündungswerte im Blut erhöht sein. Bevor TNF-alpha-Blocker eingesetzt werden, sollte eine zweite Substanz aus der Gruppe der NSAR versucht worden sein, wenn mit der ersten Substanz keine ausreichende Krankheitskontrolle erzielt werden konnte. Die Erkrankung sollte mindestens ein halbes Jahr bestanden haben.

Gegenwärtig ist in Deutschland noch kein TNF-alpha-Blocker für die Therapie des M. Bechterew zugelassen. Die europäische Zulassungsbehörde hat aber bereits im Februar 2003 die Substanz Infliximab (Remicade) für die Therapie des M. Bechterew zugelassen, so dass wahrscheinlich noch in diesem Monat die Zulassungserweiterung für Infliximab auf den M. Bechterew auch in Deutschland erfolgen wird.

In den USA ist die Zulassungserweiterung für Enbrel für den M. Bechterew beantragt, so dass nach dem Urteil des Bundessozialgerichtes unter bestimmten Bedingungen auch für Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland der Einsatz von Enbrel beim M. Bechterew möglich ist. Allerdings müssen vorher die therapeutischen Möglichkeiten mit zugelassenen Medikamenten ausgeschöpft worden sein, d.h. nach der Zulassung von Remicade die Therapie mit diesem Präparat. Auf Enbrel gewechselt werden kann in einem solchen Fall, wenn die Therapie mit Infliximab wegen Nebenwirkungen oder Kontraindikationen oder wegen Unwirksamkeit abgebrochen werden musste bzw. nicht durchgeführt werden kann.

Weitere Fragen zur Kostenübernahme

Wenn die Indikation zum Einsatz zum Einsatz von TNF-alpha-Blockern besteht und das vorgesehene Präparat für die entsprechende Indikation in Deutschland zugelassen ist, ist das Einholen einer Kostenübernahmeerklärung vor Beginn der Therapie nicht notwendig. Aus zahlreichen Gründen, auf die hier im einzelnen nicht weiter eingegangen werden soll, wird auch dringend davon abgeraten.

Der wichtigste Aspekt ist, dass bei vorliegender medizinischer Notwendigkeit einer in Deutschland offiziell zugelassenen Therapie, zu der es keine vergleichbaren Alternativen gibt, keine vorherige Genehmigung durch irgendwelche Institutionen erforderlich ist. Um es vielleicht einmal sehr drastisch zu sagen: Bei einer lebensbedrohlichen Lungenentzündung wird ja auch keiner auf die Idee kommen, die Krankenkasse oder die Kassenärztliche Vereinigung oder andere Institutionen vorher zu fragen, ob sie den Einsatz eines wirksamen Antibiotikums genehmigen.

Ein weiterer Gesichtspunkt ist, dass sich der Beginn der Therapie durch ein solches Verfahren unnötig verzögert. Außerdem ist ohnehin die juristische Frage der Zuständigkeit außerordentlich verzwickt, da im kassenrechtlichen System das Hauptproblem die Regressforderung an den behandelnden Arzt ist. Diese ist aber weder durch eine Genehmigung durch die Krankenkasse noch durch die Kassenärztliche Vereinigung aus der Welt zu schaffen, da für die Wirtschaftlichkeitsprüfung ein eigenes Organ, das von Krankenkassen und Kassenärztlicher Vereinigung besetzt ist, zuständig ist.

Hinsichtlich des Budgets sind die Regelungen in den einzelnen KV-Bezirken sehr unterschiedlich, so dass hier keine generell gültigen Aussagen gemacht werden können. In vielen Bundesländern gilt aber die auch in Nordrhein gültige Regelung, dass alle langwirksamen Antirheumatika und damit auch die TNF-alpha-Blocker bei der Therapie der rheumatoiden Arthritis und verwandter Erkrankungen vom Individualbudget eines Arztes ausgenommen sind. Damit entfallen alle Befürchtungen, die sich beim Einsatz von solchen Medikamenten im Hinblick auf eine Überziehung des Individualbudgets ergeben könnten.

Priv. Doz. Dr. med. H.E. Langer

 

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