Große regionale Unterschiede bei OPs: Kindern in Bremerhaven werden häufiger die Mandeln entfernt als in anderen Städten

Ob einem Patienten bei einer Erkrankung die Mandeln entfernt werden, hängt maßgeblich von seinem Wohnort ab. Dies geht aus zwei Langzeitstudien hervor, die die Bertelsmann Stiftung in Kooperation mit der Organisation für Zusammenarbeit und wirtschaftliche Entwicklung (OECD) in der vergangenen Woche vorstellten. Die Studien belegen große regionale Unterschiede in der Gesundheitsversorgung.

(Freitag, 19.09.2014, Julia Nix / PM Bertelsmann Stiftung /OECD)
Kategorie: Gesundheitssystem

Den Studien zufolge werden in manchen Städten und Landkreisen acht Mal mehr Einwohner an Mandeln operiert als anderswo. Ähnlich große regionale Unterschiede gibt es bei der Entfernung des Blinddarms, der Prostata oder beim Einsetzen eines Defibrillators am Herzen. Die hohen Abweichungen seien weder medizinisch, noch durch Alters- oder Geschlechtsstrukturen zu erklären.

Die Autoren werten die Ergebnisse als Warnsignal: "Große regionale Unterschiede in der Gesundheitsversorgung sind ein klares Zeichen für Qualitäts-, Effizienz- und Gerechtigkeitsprobleme", so OECD-Direktor Mark Pearson.

Ausmaß der regionalen Unterschiede bleibt konstant

Die Ergebnisse beruhen auf einer Langzeituntersuchung. Seit 2007 beobachtet die Bertelsmann Stiftung in ihrem Faktencheck Gesundheit die Häufigkeit von Operationen in allen 402 deutschen Kreisen und kreisfreien Städten und hat dabei Verblüffendes festgestellt: Das Ausmaß der regionalen Unterschiede innerhalb Deutschlands bleibt über die Jahre hinweg bei den einzelnen medizinischen Eingriffen nahezu gleich. Und es sind auch überwiegend dieselben Regionen, die konstant unter besonderer Über- oder Unterversorgung leiden.

In einigen kreisfreien Städten und Landkreisen wie Bad Kreuznach, Bremerhaven oder Delmenhorst werden seit Jahren acht Mal so vielen Kindern die Mandeln herausgenommen wie anderswo. Auch beim Einsatz von künstlichen Kniegelenken, bei Kaiserschnitten oder Gebärmutterentfernungen unterscheidet sich die Operationshäufigkeit zwischen den Regionen um das Zwei- bis Dreifache. Die OECD-Studie kommt für die anderen untersuchten Länder, darunter Frankreich, Spanien und England, zu ganz ähnlichen Ergebnissen.

Mehr als 30 Prozent Abweichung vom Bundesdurchschnitt

Verantwortlich für die großen regionalen Unterschiede sind keineswegs nur wenige Ausreißer. Bei den Mandelentfernungen etwa weichen 137 der 402 deutschen Städte und Gemeinden um mehr als 30 Prozent vom Bundesdurchschnitt ab. Auffällig ist zudem, dass einige kreisfreie Städte und Kreise gleich bei mehreren Eingriffen die deutschlandweit höchsten Operationsraten aufweisen.

Warum die Versorgungslage zwischen den Regionen so unterschiedlich ist, dazu kann auch die Forschung bislang nur erste Erklärungsansätze liefern. Die beiden Studien von OECD und Bertelsmann Stiftung stellen übereinstimmend fest, dass das Fehlen klarer medizinischer Leitlinien die Gefahr von regionalen Unterschieden vergrößert.

Zudem seien Extremwerte in bestimmten Städten und Kreisen ein Indiz dafür, dass ärztliche Aufklärung regional unterschiedlich wahrgenommen wird: Entscheidungen für oder gegen eine Operation dürften nicht, wie die Versorgungsforschung es für möglich hält, eine Frage der Angebotskapazität oder von Gewohnheiten der ortsansässigen Ärzte sein, so Pearson.

Mit Pressematerial der Bertelsmann Stiftung und der OECD

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