Methotrexat zur Krankheitsmodifikation und Steroideinsparung bei der Arteriitis temporalis: Die aktuelle Kontroverse

Nach positiven Einzelfallbeobachtungen und kleineren Pilotstudien zeigte im Jahre 2001 die erste randomisierte, placebo-kontrollierte, doppelblinde Studie zur Therapie der Arteriitis temporalis mit Methotrexat zusätzlich zur traditionellen Cortisontherapie eine signifikante Überlegenheit dieser Behandlungsstrategie gegenüber der konventionellen Monotherapie mit Cortison allein. Eine nachfolgende internationale Multicenter-Studie kommt zu abweichenden Ergebnissen. Wie ist dies zu erklären? Und welche Konsequenzen ergeben sich aus diesen Studien?

(Sonntag, 14.09.2003, Priv. Doz. Dr. med. H.E. Langer)
Kategorie: Archiv bis Mai 2005

Methotrexat zur Krankheitsmodifikation und Steroideinsparung bei der Arteriitis temporalis: Die aktuelle Kontroverse

Erste Einzelfallbeobachtungen Ende der 80er Jahre (Krall et al 1989) und nachfolgende kleinere klinische Pilotstudien seit Anfang / Mitte der 90er Jahre berichteten über die Wirksamkeit von niedrigdosiertem Methotrexat (Mtx) bei der Therapie von steroidresistenten Verläufen der Arteriitis temporalis und über den primären Einsatz von Mtx in Kombination mit der konventionellen Steroidtherapie mit dem Ziel einer Steroideinsparung und der Reduktion von Komplikationen der Steroidtherapie (Hernandez-Garcia et al 1994, Übersichten bei Hellmann 1993, Roblot 1998).

Die erste randomisierte, placebo-kontrollierte, doppelblinde Studie von Jover und Kollegen (Jover et al 2001) zur Therapie der Arteriitis temporalis mit Methotrexat untersuchte die Sicherheit und Wirksamkeit von Methotrexat in Kombination mit der konventionellen Cortisontherapie gegenüber der klassischen Steroid-Monotherapie.

Die Studie erfolgte an 42 Patienten mit erstmals diagnostizierter Riesenzellarteriitis. Im Kombinationsarm der Studie erhielten die Patienten 10 mg Methotrexat pro Woche zusätzlich zur traditionellen Therapie mit Cortison. Die Cortisondosis betrug anfangs bei allen Patienten 60 mg pro Tag und wurde dann stufenweise reduziert, beim Wiederauftreten von Krankheitssymptomen und / oder Wiederanstieg der Entzündungswerte im Blut wieder erhöht. Im Monotherapiearm der Studie erfolgte die Behandlung mit Cortison plus Placebo. Die Dosierung und das Reduktionsschema für die Cortisontherapie war in beiden Studienarmen identisch.

Die Ergebnisse der Studie zeigen eine Überlegenheit der Kombinationstherapie mit Methotrexat gegenüber der traditionellen Monotherapie mit Cortison allein.

Unter der Kombination kam es seltener zu Rückfällen der Erkrankung; wenn es doch zu Rückfällen kam, traten sie später auf. Die Behandlungsdauer konnte durch die Kombination wesentlich verkürzt werden. Von erheblicher Bedeutung ist, daß durch den Einsatz von Methotrexat die kumulative Cortisondosis reduziert werden konnte.

In der Methotrexat-behandelten Gruppe sank der Prozentsatz der Patienten mit einem Rezidiv um fast die Hälfte (45 %) gegenüber 84,2 % in der allein mit Cortison behandelten Gruppe (p < 0.02). Ebenfalls signifikant niedriger war in der Methotrexat-Gruppe die Zahl der Patienten mit mehrfachen Rezidiven.

Wenn es zu einem Rezidiv kam, trat es in der Methotrexatgruppe erst nach durchschnittlich 25 Wochen auf gegenüber 21 Wochen in der Cortison-Monotherapiegruppe.

Zugleich konnte durch die Methotrexat-Therapie die Gesamtbehandlungsdauer deutlich abgekürzt werden (durchschnittlich 29 Wochen gegenüber 94 Wochen in der allein mit Cortison behandelten Gruppe).

Unter Berücksichtigung aller Effekte konnte in der Methotrexatgruppe durchschnittlich 25% der Cortisondosis eingespart werden (mittlere kumulative Cortisondosis in der Methotrexat-Gruppe 4187 +/- 1529 mg und 5489.5 +/- 1396 mg in der Placebo-Gruppe, durchschnittlicher Unterschied 1302 mg [95% CI, 350 to 2253 mg]; p < 0.009).

Zu einem abweichenden Ergebnis kommt eine internationale Multicenter-Studie an 16 Zentren des internationalen Netzwerks zum Studium von systemischen Vaskulitiden (International Network for the Study of Systemic Vasculitides, Hoffman et al. 2002).

In dieser ebenfalls randomisiert und doppelblind angelegten, placebo-kontrollierten Studie an 98 Patienten mit Arteriitis temporalis erfolgte in beiden Armen eine Cortisontherapie mit einer Anfangsdosis von 1 mg/kg/Tag (< oder = 60 mg täglich), im Methotrexat-Arm zusätzlich mit einer variablen Methotrexat-Dosis, anfangs zunächst 0.15 mg/kg/Woche MTX mit der Möglichkeit einer Steigerung auf bis zu 0.25 mg/kg/Woche bzw. eine maximale Dosis von wöchentlich 15 mg MTX.

Nach einem Jahr zeigten sich in der Methotrexat-Gruppe zwar weniger Therapieversager als im Cortison-Monotherapie-Arm (57,5 % Rezidive in der Mtx-Gruppe (95% Konfidenz- Interval [95% CI] 41.6-73.4%) gegenüber 77,3% in der Placebo-Gruppe((95% CI 61.9-92.8%), der Unterschied war aber statistisch nicht signifikant (p = 0.26).

In der Methotrexat-Gruppe traten signifikant weniger Rezidive in Form einer isolierten Polymyalgia rheumatica auf (1 Fall in der Mtx-Gruppe vs. 5 Fällen in der Placebo-Gruppe, p = 0.05).

Kommentar:

Die unterschiedlichen Ergebnisse der beiden Studien sind schwer zu interpretieren. Eine denkbare Erklärungsmöglichkeit ist der Unterschied bei der Anfangsdosierung von Methotrexat, der aber für das unterschiedliche outcome eher nicht verantwortlich sein dürfte.

Ein wesentlicher Unterschied zwischen den Studien sind die unterschiedlichen Beobachtungszeiträume (zwei Jahre in der spanischen Studie gegenüber nur einem Jahr in der US-amerikanisch geführten, internationalen Studie).

Unterstellt man einen Einfluß der Beobachtungsdauer, wäre nach den Ergebnissen der spanischen Studie der Einsatz von Methotrexat in Kombination mit Cortison insbesondere im Hinblick auf die längerfristige Prognose der Arteriitis temporalis von Bedeutung. Diese Interpretation sollte allerdings bis zur Vorlage weiterer Daten zunächst noch sehr zurückhaltend bewertet werden.

Ein weiterer, möglicherweise methodisch bedeutsamer Unterschied ist das Studiensetting.

Bei der spanischen Studie handelt es sich eine monozentrisch angelegte Studie, während an der internationalen Multicenter-Studie insgesamt 16 Zentren teilnahmen.

Bei allen diesen 16 Zentren handelt es sich um ausgewiesene Behandlungseinrichtungen mit spezieller Ausrichtung auf Vaskulitiden; davon völlig unabhängig besteht aber in einem solchen Studiensetting das grundsätzliche, systematische methodische Problem der Therapievarianz in den einzelnen Zentren, insbesondere wenn das Studienprotokoll variable Therapiemöglichkeiten (z.B. bei der Mtx-Dosis oder der Steroiddosis) zulässt.

Zusätzlich ist ein starker Einfluß eines „Selection-Bias“ möglich. Es ist bei einer monozentrischen Studie, in der 42 Patienten mit einem relativ seltenen Krankheitsbild rekrutiert werden, davon auszugehen, dass sie ein breites Spektrum an Krankheitsformen und Krankheitsverläufen beinhaltet und damit der klinischen Epidemiologie des Krankheitsbildes und den Verhältnissen in der alltäglichen therapeutischen Routinesituation näher kommt als eine multizentrische Studie in Vaskulitiszentren, in denen erfahrungsgemäß Patienten mit höherer Krankheitsaktivität, ausgeprägterer Symptomatologie und schwereren Verläufen überproportional häufiger zu finden sein dürften als außerhalb solcher Settings.

Auffällig ist bei der spanischen Studie insbesondere die vergleichsweise sehr niedrige kumulative Steroiddosis in beiden Therapiearmen. Mit einer mittleren kumulativen Steroiddosis über 24 Monate (bzw. 104 Wochen) von 4.187 mg in der Mtx-Gruppe und 5489.5 mg in der Placebo-Gruppe liegt der mittlere Steroidbedarf in diesem Kollektiv deutlich unter der kumulativen Steroiddosis, die in einer anderen Studie für einen Zeitraum von nur 60 Wochen (5.908 mg) bzw. 68 Wochen (6.469 mg) angegeben wird (Spiera et al. 2001).

Möglicherweise zeigen sich die Effekte einer zusätzlichen Mtx-Therapie speziell bei Therapiestrategien, bei denen die Cortisondosis in der Anfangsphase sehr aggressiv, d.h. sehr schnell reduziert wird und bei denen insgesamt im Langzeitverlauf der Therapie eine sehr niedrige Cortisondosis, d.h. im Bereich von täglich 5 mg Prednisolon und geringer, angestrebt wird.

Unter statistischen Gesichtspunkten fällt auf, dass sich in der internationalen Multicenter-Studie zwar im Trend eindeutige Vorteile der Mtx-Therapie zeigen (nur 57,5 % Rezidive in der Mtx-Gruppe gegenüber 77,3% Rezidiven in der Placebo-Gruppe), dieses Ergebnis aber statistisch nicht signifikant war. Möglicherweise war die Studie damit trotz der relativ großen Patientenzahl statistisch noch „unterpowert“. Dieser Aspekt sollte bei der Interpretation auch anderer, kleinerer Studien mit „negativen“ Ergebnissen berücksichtigt werden (Spiera et al. 2001), außerdem spielt er für die Planung zukünftiger Studien eine wichtige Rolle.

Nicht zuletzt ergibt sich eine interessante weitere Erklärungsmöglichkeit für die unterschiedlichen Ergebnisse der beiden Studien aus der Beobachtung, dass in der internationalen Studie in der Mtx-Gruppe die Zahl der Rezidive in Form einer isolierten Polymyalgia rheumatica signifikant geringer war. Dies führt zu der Überlegung, ob sich Vorteile aus einer Methotrexat-Therapie insbesondere bei einer Subgruppe von solchen Patienten ergeben, bei denen die Arteriitis temporalis mit einer polymyalgischen Symptomatologie einhergeht. Auch dieser Aspekt sollte bei der Planung zukünftiger Studien und differentialtherapeutischen Überlegungen eine Rolle spielen.

Der letztgenannte Gesichtspunkt erscheint deshalb als bedeutsam, weil sich die eigenen, allerdings derzeit noch nicht systematisch ausgewerteten Erfahrungen mit dem Einsatz von Methotrexat bei der Arteriitis temporalis mit den positiven Ergebnissen der spanischen Studie decken. Da in einem rheumatologisch ausgerichteten Schwerpunkt der Anteil von Patienten mit Arteriitis temporalis höher sein dürfte, die gleichzeitig auch eine polymyalgische Symptomatik aufweisen, könnte dies die Hypothese einer unterschiedlichen Ansprechrate von Mtx bei Patienten mit und ohne Polymyalgie erhärten.

Priv. Doz. Dr. med. H.E. Langer

Literatur

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