Patientensicherheit - eine Frage der Kultur

Plattform Patientensicherheit sieht Fortschritte in Gefahr

 

Internationale und nationale Patient-Safety-Experten geben in Wien die Richtung in Sachen Patientensicherheit vom medizinisch-ethischen Standpunkt vor.

 

(Wien, am 07.12.2010) – Am Freitag den 3. Dezember 2010 fand am Institut für Ethik und Recht in der Medizin ein Expertengespräch zum Thema: „Patientensicherheit – quo vadis? Neue Konzepte der Sicherheitskultur“ statt. Zur Veranstaltung luden die Österreichische Plattform Patientensicherheit in Kooperation mit dem Postgradualen Lehrgang „Patientensicherheit und Qualität im Gesundheitswesen“. Besonderer Gast an diesem Abend war Bryan Sexton, einer der Pioniere der Patient-Safety-Bewegung, der unter anderem den weltweit eingesetzten „Safety Attitude Questionnaire SAQ“ entwickelte.

(Freitag, 10.12.2010, Daniela Loisl)

J. Bryan Sexton, PhD

Sicherheitskultur

Auf die Frage, nach einer sofort umsetzbaren Maßnahme zur Verbesserung der Patientensicherheit, lautete Sextons knappe Antwort: „Stellen Sie mehr Ärzte und Pfleger ein. Mehr Personal bedeutet weniger Arbeitslast für den Einzelnen. Damit steigt die Qualität der Arbeit. Und mehr Qualität bedeutet am Ende des Tages geringere Kosten.“ Sexton untermauert seine Behauptung mit Zahlen am Beispiel von Infektionen durch Venenkatheter: Zentrale Venenkatheter sind für 90% aller durch Gefäßzugänge verursachten Infektionen verantwortlich (Quelle: Robert Koch Institut 11-2002). Sexton entwickelte einen Maßnahmenplan zur Verbesserung der Qualität in Intensivpflegestationen. Durch die Anwendung dieser Methode konnte die Infektionsrate pro 1000 Kathetertage um 66% gesenkt werden. Jede solche verhinderte Infektion spart $ 45.000 (Quelle: N Engl J Med 2006; 355:2725-32; J.B. Sexton et.al.). Bei geschätzten 80.000 Infektionen pro Jahr in den USA, könnten die Einsparungen hier bei rund $ 2,4 Milliarden liegen.

 

Gefahr des Scheiterns

Sexton: „ Wir müssen dafür sorgen, dass das Richtige auch einfach zu machen ist. Im Grunde geht es immer um eine Kultur der Patientensicherheit. Wenn eine solche Kultur gelebt wird, werden die Fehler messbar weniger.“ Ins gleiche Horn stößt Gerhard Fahnenbruck von Crisadvice, Experte für Krisenintervention in der Luftfahrt: „Um Patientensicherheit zu erhöhen, muss sich die Kultur ändern – nicht nur bei den Gesundheitsberufen, auch in der Gesellschaft.“ Er sieht eine große Gefahr des Scheiterns von Patientensicherheit, denn mit den positiven Entwicklungen findet gleichzeitig eine immer weitergehende Spezialisierung in der Medizin statt und auch die Ressourcen werden knapper. Dadurch wird der Effekt der guten Maßnahmen häufig aufgehoben.

 

Verbandsverantwortung statt strafrechtlicher Keule

Am tragischen Beispiel des aktuellen Falles von St. Johann in Tirol wurde die Bedeutung von Maßnahmen zur Patientensicherheit drastisch verdeutlicht. Dort war einer 91jährigen Frau im Juni 2010 das falsche Bein amputiert worden. Der Operateur und der Verantwortliche für den Operationsplan wurden wegen fahrlässiger Körperverletzung verurteilt. Maria Kletecka-Pulker, Geschäftsführerin der Plattform Patientensicherheit wertet das Urteil im Prozess von St. Johann als Rückschlag für die Anstrengungen zu einer echten Sicherheitskultur. Kletecka-Pulker dazu: „Was dieser Dame geschehen ist, ist schrecklich, ist tragisch und es macht jeden betroffen. Aber genau solche Fälle kann man nur verhindern, indem die Ärzte offen und ohne Angst vor strafrechtlicher Verfolgung über Fehler sprechen können. Das ist eine der effektivsten Maßnahmen zur Patientensicherheit.“ Wolfgang Kuntzl, Geschäftsführer der Ecclesia GrECo Hospital fügt hinzu: „Die strafrechtliche Keule brauchen wir nicht, sie ist kontraproduktiv. Stattdessen brauchen wir eine Verbandsverantwortung.“

 

Patientensicherheit in Österreich wie Autofahren ohne Sicherheitsgurt

Norbert Pateisky von der AssekuRisk und Vorstandsmitglied der Plattform für Patientensicherheit ortet in den langen Arbeitszeiten eine große Fehlerquelle: „Trotz Evidenz zur negativen Auswirkung von zu vielen Arbeitsstunden, gab es bei der Arbeitszeit nur unwesentliche Verbesserungen. Hier muss man mehr Druck machen.“ Seine Conclusio: die Aufnahme von Patientensicherheit in die Lehrpläne aller Gesundheitsberufe. Brigitte Ettl, Obfrau der Plattform Patientensicherheit und ärztliche Direktorin am Krankenhaus Hietzing ergänzt: „Früher gab es ständig Widerstand gegen Maßnahmen zur Patientensicherheit wegen fehlender Zahlen. Jetzt sind die Zahlen da, die die Wirksamkeit dieser Maßnahmen belegen und es wird nur diskutiert, aber nicht implementiert. Das ist als würde man heute ohne Sicherheitsgurt und Airbag Autofahren, obwohl jeder weiß, dass diese einfachen Sicherheitsmaßnahmen jedes Jahr tausende Tote verhindern.“

 

Über die Plattform Patientensicherheit

Das Bundesministerium für Gesundheit hat im Dezember 2007 den Anstoß gegeben, ein unabhängiges nationales Expertenforum für Patientensicherheit zu gründen. Der im Oktober 2008 gegründeten Plattform Patientensicherheit unter der Leitung von Dr. Brigitte Ettl, ärztliche Direktorin am Krankenhaus Hietzing und Dr. Maria Kletecka-Pulker vom Institut für Ethik und Recht in der Medizin, gehören Expertinnen und Experten an, die sich mit Patientensicherheit beschäftigen. Im Mittelpunkt steht die Förderung der Patientensicherheit in Österreich durch Forschung, Information und Koordination von Projekten.

Weitere Informationen, Materialien und Empfehlungen, wie z.B. die adaptierte WHO Sicherheits- Checkliste für OPs und die Kommunikationsbroschüre für Handeln nach einem Zwischenfall: www.plattformpatientensicherheit.at

 

 

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