Der erste medizinische Vortrag des 6.Voralberger Rheumatags trug das Thema "Rheuma und Bewegung"
Prim Univ. Doz. Dr. Thomas Bochdansky, Ärztlicher Leiter der Physikalischen Therapie des LKH Rankweil, erklärte, wie Bewegung möglich wird (von den beteiligten Strukturen und den informationstheoretischen Hintergründen her) und warum Bewegung so immens wichtig ist, gerade für Menschen mit Rheuma.
Univ. Doz. Dr. Thomas Bochdansky, Leiter der Physikalischen Therapie des LKH Rankweil erklärte zuerst einmal grundlegend, dass vier Systeme nötig sind, damit Bewegung möglich wird:
1.) Das passive System: Knochen-Bindegewebe (passiv, weil es bewegt wird)
2.) Das aktive System: Muskulatur (aktiv, weil es bewegt)
3.) Das Kontroll-System: Nerven, Botenstoffe…
4.) Das energetische System: Stoffwechsel, Kreislauf, Nährstoffe…
Diese vier Systeme müssen in einem Gleichgewicht stehen, in einer Art Homöostase. Das Gleichgewicht kann auf jeder der vier Ebenen gestört werden durch die verschiedensten Faktoren. Störungen resultieren z.B. in Stress. Stress teilte Primar Bochdansky wiederum ein in 3 Stufen: unterschwelliger Stress, überschwelliger Stress und überlastender Stress. Während die verschiedenen Systeme es beim unterschwelligen Stress relativ leicht schaffen sich anzupassen und auch beim überschwelligen Stress noch - im Sinne eines Trainingseffektes - lernen können zurecht zu kommen, wird es bei überlastendem Stress (Beispiel: Verletzung) schon schwieriger. Aber auch hier haben die Systeme teils noch Möglichkeiten der allmählichen Anpassung.
Anschaulich stellte Prim. Bochdansky dar, wie viel Informationseinheiten ständig hin und her geschickt werden, um Bewegung als Reaktion auf eine äußere Wahrnehmung hin stattfinden zu lassen: Das sensorische System nimmt 1.000.000.000.000 (1 Billion) Informationseinheiten (Bits) pro Sekunde auf. Diese werden gefiltert, bewertet und mit 10-50 Bits pro Sekunde von der Hirninde verarbeitet. Für den Bewegungs-Impuls gehen dann wieder 10.000 Bits pro Sekunde vom Gehirn in die Peripherie.
Das Zusammenspiel von Schmerz, Depression, Sturzrisiko und Osteoporose stellte er anhand des „Gebrechlichkeits-Prinzips“ („Frailty“-Prinzip von Linda Fried, 2001 in den Journals of Gerontology dargestellt: Linda Fried postuliert, dass die Frailty, also Gebrechlichkeit nicht einfach nur die Folge einer anderen Erkrankung, wie z.B. Rheuma, ist, sondern dass Frailty eine eigenständige Konstellation ist. Wenn 3 der folgenden 5 Kriterien erfüllt sind, ist es nach Linda Fried gerechtfertigt, von Frailty zu sprechen: Gewichtsverlust, Erschöpfung, Schwäche z.B. beim Greifen, verlangsamtes Gehen, wenig Bewegung. Personen mit Frailty, also mit Gebrechlichkeit, stürzen öfters, haben häufigere Krankenhausaufenthalte und sterben früher als gleichaltrige Personen ohne Frailty. Sinngemäß kann man sagen: wenn ich zu meiner rheumatologischen Erkrankung dazu noch einen Bewegungsmangel entstehen lasse, dann sammle ich zumindest einen „Frailty-Punkt“ und erhöhe mein Risiko für Komplikationen.
Die Ziele der Bewegungstherapie sollten laut Prim Bochdansky immer so gewichtet sein, dass an erster Stelle die Verbesserung der Qualität einer Bewegung, also des Bewegungsablaufs, steht. An zweiter Stelle folgt dann die Steigerung der Quantität, also des Umfangs und der Häufigkeit der Bewegung.
Das Ausdauerorientierte Training ohne großen Kraftaufwand ist dem Kraftorientierten Training unbedingt vorzuziehen.
Die gerade für den schmerzgeplagten Rheumatiker wichtige Botschaft war, dass Bewegung schmerzlindernd wirkt. Denn Bewegung steigert die Ausschüttung von körpereigenen Opiaten, also Stimmungsmachern oder Glücksbotenstoffen. Diese Ausschüttung von Opiaten nimmt zu mit der Häufigkeit der Bewegungsübungen. (wie wir es zuvor in den Gesichtern von Jutta Sturn’s Gruppe überzeugend hatten ablesen können…)
Bewegung ist aber nicht nur schmerzlindernd, sondern verringert auch die Steifigkeit der Gelenke und des Gewebes und erhöht die Geschmeidigkeit und die Kraft. Man verringert die Muskelschwäche durch gezieltes Krafttraining (solange keine Myositis, also Muskelentzündung vorliegt): das isometrische Training und das dosierte Gerätegestützte Training sind aufgrund des niedrigen Drucks auf die Gelenke dem dynamischen Muskeltraining beim Rheumatiker vorzuziehen.
Bewegung verbessert den Knorpelstoffwechsel und die Muskeldurchblutung und bewahrt das Bindegewebe vor Kontrakturen.
Die oft in Verbindung mit chronisch-rheumatischen Erkrankungen vorkommende Müdigkeit kann am besten durch das so genannte aerobe Ausdauertraining vermindert werden, d.h. also durch ein Training, bei dem das System noch nicht in Sauerstoffnot gerät. Er nannte Tanzen und Aquajogging sowie Walking als Beispiele und betonte, dass nebenbei auch das Immunsystem profitiere von diesem Training und dass darüber hinaus die so genannte sozio-emotionale Komponente (gerade beim Tanzen!) zu beachten sei.
Die Leitsprüche:
Gelenke leben von der Bewegung!
Wer rastet der rostet!
Bewegung trotz Schmerz lindert Schmerz!
rundeten diesen ersten Teil seines Vortrages ab.
An mehreren wissenschaftlichen Studien zeigte sich, dass gezielte Bewegungstherapie und aerobes Ausdauertraining, trotz Schmerzen, die Arthritis und die Schmerzen nicht verschlimmert („exercise does not exacerbate arthritis“). In einer Übersicht zu den Studien, welche sich mit Tai Chi bei Rheumatikern befassen, zeigten sich für die Beweglichkeit deutliche Vorteile für Rheumatiker, die regelmäßig Tai Chi ausüben (so genanntes „silver level of evidence“ laut Han A., Cochrane Review 2004; http://www.cochrane.org/reviews/en/ab004849.html).
Warnen muss man allerdings davor, des Guten zu viel zu tun.
Woran erkenne ich eine Überdosierung der Bewegung? Laut Prim. Bochdansky ist das ganz einfach: Wenn nach der Bewegungsübung länger als eine Stunde anhaltende Schmerzen oder länger als eine Stunde anhaltende starke Müdigkeit entstehen, dann war es des Guten zuviel.
Wie oft sollte man sich denn nun bewegen?
Prim. Bochdansky empfiehlt 3 Übungseinheiten pro Woche, und diese immer als aerobes Ausdauertraining, d.h. es sollen 60-80% des so genannten „maximalen Pulses“ erreicht sein (der maximale Puls ergibt sich aus der Faustregel 200 minus Lebensalter).
Wandern, Walken, Aquajoggen und Tanzen nannte er noch einmal als ideale Sportarten.
10 Stichworte nannte er abschließend noch einmal für die Realisierung eines guten Bewegungstrainings: von der ersten Erkundigung über die Diskussion der gewünschten Inhalte, das Festlegen der individuellen Trainingsziele, die persönlich Identifizierung mit der Art der Bewegung, das Fördern der Realisierungsmöglichkeiten für die Bewegung, das Demonstrieren-lassen der Bewegung, das Verordnen-lassen der Bewegungstherapie, das Kontrollieren der Herzfrequenz (Puls) unter der Bewegung, die Ermutigung seiner selbst (z.B. durch ein Trainingsbuch) und vor allem auch das Verbinden mit einer Institution wie gerade der Rheumaliga. (Gemeinsam geht’s leichter...)
Seine Abschlussbotschaft: Es ist nie zu spät! (s. Abb…)