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Fragen und Antworten

Eine Frage von ein internistischer Rheumatologe:

Ich möchte hinsichtlich der Indikationsstellung einer Patientin bei Ihnen um Rat fragen.

 

Diagnose:

 

1. Seropos. rheumatoide Arthritis

 

-Vorbestehendes Therapiekonzept:

 

u.a. Resochin

Azulfidine

MTX + Resochin

MTX + Azulfidine

 

Zuletzt MTX 20 mg oral als Tbl. 1 x/Woche und Arava 20 mg täglich

 

2. Z.n. anteriorer Rectumresektion wegen eines mittelgradig differenzierten Adeno-CA des Rectum (pT3, N1, Mo, G2) , OP im Sommer 1997

 

Im Anschluß an die anteriore Rectumresektion war wegen eines Lymphknoten-Befalls (3 von 11 Lymphknoten wiesen Metastasen auf) eine postoperative Radiatio durchgeführt worden.

 

Der bisherige Verlauf ist unauffällig, Hinweise auf ein Rezidiv der Erkrankung bestehen nicht, regelmäßige onkologische und gastroenterologische Kontrollen werden durchgeführt.

 

Frage:

 

Trotz einer aktuellen Kombinationstherapie (MTX + Arava) besteht eine anhaltend synovitische Aktivität. Hinsichtlich der Aktivität der Rheumaerkrankung würde ich von meiner Seite aus eine Enbrel-Therapie beginnen wollen.

 

TU-Erkrankungen in der Vorgeschichte sind jedoch als Kontraindikation beschrieben. Ich frage deshalb nach, ob Sie den Einsatz von Enbrel bei der gegebenen Konstellation akzeptieren würden.

 

Zusätzlich zu den o.g. Problemen besteht eine Hypertonie, so dass ich von einer Medikation mit Sandimmun Abstand nehmen möchte.

 

Die Antwort gibt Priv. Doz. Dr. med. H.E. Langer, 4.10.2003:

Im TIZ-Berat haben wir in der Vergangenheit vergleichbare Problemsituationen intensiv diskutiert. Generell haben wir uns auf die Empfehlung geeinigt, daß Enbrel nach Abwägung aller Begleitumstände und unter sehr kritischer Indikationsstellung auch bei solchen Patienten eingesetzt werden kann, bei denen in der Anamnese eine kurativ behandelte Tumorerkrankung (maligne Tumoren) bekannt ist.

 

Im vorliegenden Fall ist die Operation des Rectum-Ca und die anschließende Radiatio mittlerweile mehr als 6 Jahre zurückliegend und die nachfolgenden onkologischen Kontrollen ergaben keinen Hinweis auf ein Rezidiv, so daß derzeit das Risiko sehr gering sein dürfte, daß aktuell noch ein Tumor-Rest oder eine Metastase vorliegt und es durch die mögliche, mit Enbrel verbundene immunologische Kompromittierung zu einem Rezidiv des Tumors kommen könnte.

 

Dezidiert ist eine vorausgegangene maligne Tumorerkrankung als Kontraindikation für den Einsatz von Enbrel sowohl in der deutschen als auch in der US-amerikanischen Fachinformation nicht genannt. Es findet sich allerdings der Hinweis, daß keine Langzeitstudien im Tierexperiment durchgeführt wurden, um das carcinogene Potential von Etanercept zu untersuchen.

 

In klinischen Studien wurden nach den Angaben der US-amerikanischen Fachinformation Patienten unter Enbrel über einen Zeitraum von mindestens 3 Jahren beobachtet. Die Inzidenz von Malignomen war bei der Anwendung von Enbrel über diesen Zeitraum nicht erhöht und war vergleichbar mit der Malignom-Rate, die nach den Zahlenangaben der National Cancer Institute´s Surveillance, Epidemiology and End Results database zu erwarten war.

 

Die deutsche Fachinformation zu Enbrel enthält die folgende Passage:

 

„Es ist unbekannt, ob eine Behandlung mit Enbrel die Entwicklung und den Verlauf von malignen Erkrankungen und/oder chronischen Infektionen beeinflussen kann“.

 

Und unter der Überschrift: „Maligne Erkrankungen“:

 

„Bei 1809 Patienten mit rheumatoider Arthritis, die in klinischen Studien über einen Zeitraum von bis zu 48 Monaten mit Enbrel behandelt wurden, traten 32 neue maligne Erkrankungen unterschiedlichen Typs auf. Die in diesen klinischen Studien beobachteten waren den zu erwartenden Raten und Inzidenzen für die untersuchte Population ähnlich. In den doppelblinden Placebo-kontrollierten Studien von einer Dauer bis zu 6 Monaten entwickelte keiner der 131 mit Enbrel behandelten Patienten mit Psoriasis-Arthropathie eine maligne Erkrankung. Berichte über verschiedene Malignome (einschließlich Brust- und Lungenkarzinom sowie Lymphom) wurden ebenfalls in der Zeit nach

Markteinführung bekannt (siehe Abschnitt 4.4).“

 

Das Arthritis Advisory Commitee der US-amerikanischen Zulassungsbehörde FDA hat nach einer umfangreichen Analyse und Bewertung aller Daten aus den klinischen Studien zu Etanercept, Infliximab und Adalimumab sowie aus den Überwachungsprogrammen nach Markteinführung von Etanercept und Infliximab sowie von Patientenregistern in seiner Sitzung am 4. März 2003 in Silver Spring, Madison, empfohlen, dass in den Beipackzetteln der betroffenen Medikamente kein zusätzlicher Warnhinweis notwendig ist, dass bei Patienten mit rheumatoider Arthritis unter einer Therapie mit TNF-alpha-Inhibitoren ein erhöhtes Risiko für Lymphome oder andere Tumoren besteht.

 

Das Committee war zusammengekommen, um ein Update der Sicherheitsempfehlungen zur Therapie mit den in den USA zugelassenen TNF-alpha-Blockern vorzunehmen (in den USA für die Therapie der RA zugelassene TNF-Inhibitoren: Infliximab (Remicade®, Centocor), Etanercept (Enbrel®, Amgen), and Adalimumab (HumiraTM, Abbott).

 

Der amtierende Vorsitzende des Committees, Dr Steven D Abramson vom Hospital For Joint Diseases in New York führte dazu aus, dass die von den Analysten des FDA präsentierten Daten und die Präsentationen von allen drei Herstellerfirmen, die gegenwärtig in den USA TNF-alpha-Inhibitoren auf den Markt bringen, zeigten, daß unter diesen Substanzen das Risiko für Krebserkrankungen nicht über dasjenige Maß hinaus erhöht ist, das man ohnehin für die rheumatoide Arthritis kennt. Danach ist das Riskio für Lymphome bei Patienten mit rheumatoider Arthritis doppelt so hoch wie für die Allgemeinbevölkerung.

 

Allerdings wies das Committee darauf hin, daß das Lymphomrisiko unter einer TNF-alpha-Therapie auf der Grundlage der vorliegenden Daten noch nicht abschließend bewertet werden könne und dass weitere Daten speziell für diese Fragestellung erhoben werden müssen.

 

Das Thema Lymphomrisiko war in den Focus der FDA geraten, da in den Überwachungsprogrammen nach Markteinführung der TNF-alpha-Blocker einige Fälle von Lymphomen gemeldet worden waren. Das aktuelle Hearing berücksichtigte die Daten aller klinischen Studien von allen drei Herstellerfirmen (Doppelblind-Studien und offene Anschlussstudien), dem Berichterstattungssystem des MedWatch-Systems für die Erfassung von Arzneimittelnebenwirkungen und den umfassenden Überwachungsprogrammen der Hersteller zur Arzneimittelsicherheit, die von der FDA nach der Markteinführung für die TNF-alpha-Blocker vorgeschrieben worden waren.

 

Insgesamt umfasste das Datenmaterial Informationen aus mehr als 10.000 Patienten, von denen einige schon länger als 6 Jahre durchgehend mit TNF-alpha-Inhibitoren behandelt wurden.

 

Außer Lymphomen traten unter der Therapie mit TNF-alpha-Inhibitoren im Vergleich zur Normalbevölkerung keine anderen bösartigen Erkrankungen gehäuft auf.

 

Die Häufigkeit von Lymphomen war etwa so hoch wie bei anderen Patienten mit rheumatoider Arthritis, die nicht mit TNF-alpha-Inhibitoren behandelt worden waren.

 

Der beratende Krebsspezialist des Committees, Dr Douglas W Blayney vom Lewis Family Cancer Center in Pomona (Kalifornien) kommentierte dazu als erstaunlichsten Befund, daß die typischen Tumoren, die man unter einer Immunsuppression sieht, eben nicht beobachtet wurden, z.B. den follikulären Typ des Hodgkin-Lymphoms, Kaposi-Sarkome oder maligne Melanome. Dr. Blayney: “Wir sehen Lymphome, die dem Hintergrund-Level der Lymphome entsprechen, wie man es bei der RA sieht.“

 

("I am most struck by what we don't see in these cases. We don't see follicular lymphomas or Hodgkin's disease. We don't see Kaposi's sarcoma or an excess of melanomas. We see lymphomas that seem to reflect the background level of lymphomas seen in RA.")

 

Nimmt man alle vorliegenden Daten und Befunde zusammen, halte ich es in der von Ihnen geschilderten Situation, d.h. bei der beschriebenen Patientin, für gerechtfertigt, für medizinisch vertretbar und auch für verantwortlich, Enbrel zur Therapie der selbst unter einer „aggressiven“ Kombinations-DMARD-Therapie mit Methotrexat und Leflunomid schwerverlaufenden, aktiven und fortschreitenden rheumatoiden Arthritis einzusetzen.

 

Eine Therapie mit Sandimmun halte ich in dieser Situation nicht für eine wirklich vergleichbare Alternative, da eine entsprechende Wirksamkeit, wie sie für Enbrel nach Mtx-Versagen nachgewiesen ist, für Ciclosporin nicht belegt ist. Außerdem gibt es auch im Fall von Ciclosporin eine praktisch vergleichbare Diskussion um die Frage, ob es unter der damit verbundenen Immunsuppression zu einer erhöhten Tumorrate kommt.

 

Quellenangaben:

 

Food and Drug Administration, Center for Drug Evaluation and Research, Arthritis Advisory Committee. Safety update on TNF-alpha blocking agents. March 4, 2003

 

Fachinformation zu Enbrel in der aktuell gültigen Fassung vom Januar 2003

 

US-amerikanische Fachinformation zu Enbrel ebenfalls in der aktuell gültigen Fassung vom 21. August 2003 (http://www.enbrel.com/)

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