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Fragen und Antworten

Eine Frage von Peter S.:

Bei mir wurde im August 2002 (nach 3-wöchigem

Krankenhausaufenthalt mit anschließender Kur) rheumatoide Arthritis

diagnostiziert. Seitdem nehme ich täglich Kortison (anfangs 15-0-5 mg, z. Z.5-0-0 mg) und 1 x wöchentlich 22,5 mg MTX in Tablettenform ein. Nachdem MTX nicht ausreichend anschlägt, kam die Überlegung bei meiner Rheumatologin auf, Enbrel im Rahmen einer Studie einzunehmen. Der Professor entschied sich aber für eine Therapie mit MTX in Spritzenform, die demnächst anlaufen soll. Nachdem ich vorübergehend MTX absetzen sollte, wurde keine Verschlechterung meiner Schmerzen sichtbar (was beweist, daß das Medikament nicht angeschlagen hat). Ich habe trotz Kortison ständig Schmerzen in den Händen/Handgelenken und in den Füßen/Fußgelenken, die Morgensteifigkeit lässt erst in den Mittagsstunden nach.

 

Meine Fragen:

 

Ist das Tuberkuloserisiko bei Einnahme von Enbrel auch erhöht wie bei Remicade?

 

Traten unter der Therapie von Enbrel auch schon Todesfälle (nicht nur in Bezug auf Tuberkulose, sondern andere schwerwiegende Infektionen) auf wie bei Remicade?

 

Was heißt – „Enbrel ist bei früher rheumatoider Arthritis in Europa zugelassen“ ? Hat das mit der Krankheitsdauer zu tun (bei mir momentan über 1 Jahr) und besteht bei noch nicht so langer Krankheitsdauer bei mir eine reelle Chance, schwerwiegende Krankheitsschäden aufzuhalten bzw. die Krankheit ganz zurückzudrängen?

 

Wäre es sinnvoll, in meiner Situation (wie oben beschrieben) mit einer Enbrel-Gabe zu beginnen, da MTX in Tablettenform (zusätzlich zum Kortison) nicht wirkte?

Die Antwort gibt Priv. Doz. Dr. med. H.E. Langer, 1.11.2003:

Ist das Tuberkuloserisiko bei Einnahme von Enbrel auch erhöht wie bei Remicade?

 

Unter der Therapie einer rheumatoiden Arthritis mit allen derzeit zugelassenen TNF-alpha-Blockern (Etanercept = Enbrel, Infliximab = Remicade, Adalimumab = Humira) ist das Risiko für eine Tuberkulose-Infektion erhöht, allerdings ist das Risiko nach den derzeit vorliegenden Daten für Enbrel deutlich geringer als für die beiden anderen Substanzen.

 

Traten unter der Therapie von Enbrel auch schon Todesfälle (nicht nur in Bezug auf Tuberkulose, sondern andere schwerwiegende Infektionen) auf wie bei Remicade?

 

Auch unter der Therapie mit Enbrel können schwere Infektionskomplikationen auftreten. Solche schwerwiegenden Infektionen sind selten, können aber im ungünstigsten Fall auch zum Tode führen.

 

Umgekehrt ist eine unzureichend behandelte rheumatoide Arthritis mit einem sehr hohen Mortalitätsrisiko behaftet, d.h. bei unzureichender Krankheitskontrolle ist das Risiko für Patienten mit rheumatoider Arthritis deutlich erhöht, in der Folge ihrer Erkrankung vorzeitig zu versterben. Dieses Risiko hängt zum einen von der Krankheitsschwere und von Begleiterkrankungen, d.h. von der rheumatoiden Arthritis unabhängigen, zusätzlich bestehenden Begleiterkrankungen ab, zum anderem vom Geschlecht (Männer haben wahrscheinlich eine schlechtere Prognose) und nicht zuletzt auch vom Krankheitsbeginn. Schon rein rechnerisch ist natürlich die Lebensdauer eines Patienten, bei dem die Erkrankung im 85. Lebensjahr beginnt, relativ gesehen deutlich weniger verkürzt als bei einem jungen Menschen, bei dem die Erkrankung im 25. oder 30. Lebensjahr beginnt.

 

Ganz aktuelle Daten zeigen, daß die Therapie mit Etanercept das Sterblichkeitsrisiko signifikant reduziert. In einer auf dem US-amerikanischen Rheumatologenkongress in New Orleans 2002 vorgestellten Studie war das Risiko von Patienten, die mit Enbrel behandelt wurden, über einen Beobachtungszeitraum von 5 Jahren nicht mehr erhöht, sondern vergleichbar mit einer gesunden Kontrollgruppe.

 

Es spricht also vieles dafür, daß die Therapie mit Etanercept (Enbrel) nicht nur die Lebensqualität von Patienten mit einer rheumatoiden Arthritis in z.T. dramatischer Weise verbessert, sondern auch ihre Lebenserwartung wieder normalisiert, d.h. im Ergebnis, das Leben verlängert.

 

Was heißt „Enbrel ist bei früher rheumatoider Arthritis in Europa zugelassen“? Hat das mit der Krankheitsdauer zu tun (bei mir momentan über 1 Jahr) und besteht bei noch nicht so langer Krankheitsdauer bei mir eine reelle Chance, schwerwiegende Krankheitsschäden aufzuhalten bzw. die Krankheit ganz zurückzudrängen?

 

 

Die ERA-Studie (Etanercept in Early Rheumatoid Arthritis) zeigt bei einer frühen rheumatoiden Arthritis, d.h. bei einer Krankheitsdauer unter drei Jahren, die Überlegenheit einer Therapie mit Etanercept (Enbrel) gegenüber einer Therapie mit Methotrexat.

 

Weitere klinische Studien, insbesondere die ganz aktuell vorgelegte TEMPO-Studie (siehe TNF-Ticker vom 17. September 2003) zeigen, daß es unter einer Therapie mit Etanercept gelingt, die Erkrankung quasi vollständig einzufrieren und eine im Röntgenbild sichtbare Zerstörung der Gelenke komplett zu hemmen. Am wirkungsvollsten gelingt dies bei fortgeschrittenen Erkrankungen in der Kombination mit Methotrexat (Mtx). Allerdings führt in einigen Studien bereits die Monotherapie mit Etanercept (ohne zusätzliche Kombination mit Mtx) zu einem kompletten Stillstand der Erkrankung.

 

Wäre es sinnvoll, in meiner Situation (wie oben beschrieben) mit einer Enbrel-Gabe zu beginnen, da MTX in Tablettenform (zusätzlich zum Kortison) nicht wirkte?

 

Wir dürfen, können und wollen per E-Mail keine individuellen Empfehlungen zu einer Diagnose oder Therapie geben.

 

Allgemein kann man sagen, daß es nach dem gegenwärtigen Stand der medizinischen Erkenntnis der wahrscheinlich beste Weg ist, eine beginnende rheumatoide Arthritis, die durch eine konventionelle langwirksame antirheumatische Therapie („Basistherapie“) nicht innerhalb von 3-6 Monaten ausreichend kontrolliert werden kann, mit einem Medikament aus der Gruppe der TNF-alpha-Blocker zu behandeln.

 

Einige Daten sprechen sogar dafür, bei einer beginnenden rheumatoiden Arthritis sofort mit einer TNF-alpha-Blocker-Therapie zu beginnen und nicht erst das Versagen von konventionellen Therapien abzuwarten, da es sich bei diesen Medikamenten um die wirksamsten Substanzen für die Therapie der rheumatoiden Arthritis handelt und in klinischen Studien nur für diese Präparate belegt ist, daß sie die Erkrankung komplett kontrollieren können.

 

Leider haben Patienten mit rheumatischen Erkrankungen im Gegensatz zu Patienten mit Krebs, HIV-Infektionen, AIDS oder anderen chronischen und / oder lebensbedrohlichen Erkrankungen keine starke Lobby.

 

Deshalb wird ihnen bei der derzeitigen Finanzknappheit im Gesundheitssystem und den damit verbundenen Verteilungskämpfen um die beschränkten Geldmittel oft eine wirksame Therapie verwehrt. Dabei tragen nicht die behandelnden Ärzte die Verantwortung, sondern die politischen Entscheidungsinstanzen und die sogenannte Selbstverwaltung (kassenärztliche Vereinigungen und Krankenkassen in einem gemeinsamen Entscheidungsgremium), die über die Gesamtmenge des Geldes bestimmen, die überhaupt für die Arzneimitteltherapie zur Verfügung steht (das macht die Politik), und weiterhin über die Verteilung und die Festlegung darüber, welche Arztgruppe (z.B. Hausärzte oder Fachärzte wie Kardiologen, Nephrologen, Krebspezialisten, AIDS-Behandler, Rheumatologen etc.) welche Summe Geld für die Behandlung ihrer Patienten bekommt (sogenannte Arzneimittelbudgets). Da politisch derzeit das Hausärztemodell stark favorisiert wird, steht dieser Arztgruppe gegenwärtig vergleichsweise mehr Geld zur Verfügung als den Fachärzten.

 

Die Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie hat Empfehlungen für die Therapie von entzündlich-rheumatischen Erkrankungen mit TNF-alpha-hemmenden Substanzen formuliert, die vor allem unter dem Eindruck der begrenzten finanziellen Möglichkeiten und in einer hohen Verantwortung für die ökonomischen Probleme des deutschen Gesundheitssystems zu dem Ergebnis kommen, daß vor dem Einsatz eines TNF-alpha-Blockers bei der rheumatoiden Arthritis zunächst zwei konventionelle langwirksame Antiheumatika eingesetzt werden sollten, ggf. auch in Kombination. Darunter muß Methotrexat in ausreichend hoher Dosierung über einen ausreichend langen Zeitraum (die Empfehlungen sprechen hier von in der Regel insgesamt mindestens 6 Monaten) gegeben worden sein.

 

Internationale Leitlinien lassen dagegen auf der Grundlage der vorliegenden wissenschaftlichen Daten den Einsatz von TNF-alpha-Blockern bereits nach dem Versagen von einem konventionellen langwirksamen Antirheumatikum zu.

 

Bei Patienten der gesetzlichen Krankenkassen kann in der gegenwärtigen Situation in Deutschland davon ausgegangen werden, daß bei ihnen TNF-alpha-Blocker oder andere biologische Medikamente wegen der vergleichsweise hohen Kosten für diese hochwirksamen Substanzen realistischerweise frühestens nach Versagen von mindestens zwei konventionellen DMARDs („Basismedikamenten“) zum Einsatz kommen.

 

Dies bedeutet, daß man bei einer unzureichenden Monotherapie mit Methotrexat nicht zu lange warten sollte, bis man mit einem zweiten DMARD, am besten in einer Kombinationstherapie, beginnt, damit wenigstens unter diesem Gesichtspunkt relativ bald die Voraussetzungen dafür geschaffen sind, entsprechend der Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie wenigstens nicht allzu spät mit einer TNF-Blocker-Therapie beginnen zu können.

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