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Fragen und Antworten

Eine Frage von Petra W.:

Es sind nun 11 Monate, wo ich mit Remicade und MTX behandelt werde. Vor ungefähr 3 Monaten bekam ich leichte Muskelschmerzen, die sich vom Hinterkopf über den Rücken bis in die Oberschenkel ausdehnten. Dann vor ca. 4 Wochen verdickten sich meine Lymphknoten in den Leisten und am Hals. Dazu bekam ich Schluckbeschwerden und Magenschmerzen. Eine durchgeführte Magenspiegelung erbrachte einen Pilzbefall der Speiseröhre. Auch meine Leberwerte stiegen auf 80 an. Mittlerweile habe ich so starke Schmerzen in allen Muskeln sowie auch eine Gelenkbeteiligung, dass mir so starke Schmerzmittel wie Tramal und Novaminsulfon so gut wie keine Linderung bringen. Vor allem am Abend und in der Nacht ist es für mich fast unerträglich (kann mich so gut wie nicht

bewegen).

 

Nun meine Frage an Sie: Gibt es einen Zusammenhang zwischen Remicade und meinen Beschwerden, oder habe ich zusätzlich eine Fibromyalgie, oder könnte es auch einen

Zusammenhang zu einer Epstein-Barr Infektion geben (bei mir wurde das Epstein-Barr-Virus bereits vor 8 Jahren nachgewiesen, und ich habe gelesen, dass dieses Virus auch

solche Beschwerden verursacht, wie ich Sie habe)?

 

Ich fühle mich mit meinen Beschwerden so ziemlich alleingelassen und von meinem behandelnden Arzt nicht ernst genommen. Um eine Antwort, was ich nun machen könnte oder welche Schmerzmittel mir besser helfen, wäre ich Ihnen sehr dankbar.

 

Mit freundlichem Gruß

Die Antwort gibt Priv. Doz. Dr. med. H.E. Langer, 21.05.2005:

Wie Sie wissen, können, dürfen und wollen wir aus der Ferne keine Ratschläge und Empfehlungen zu einer individuellen Diagnose oder Therapie geben.

Allgemein kann man sagen, daß es in Einzelfällen unter einer Therapie mit Remicade zum Auftreten von Lymphknotenschwelluingen, Muskelschmerzen, Gelenkschmerzen und anderen grippeähnlichen Symptomen kommen kann. Diese können ganz unterschiedliche Ursachen haben. Eine Erklärung ist die Entwicklung von HACA (humane antichimäre Antikörper)

Der in Remicade enthaltene Wirkstoff Infliximab ist ein sogenannter chimärer oder chimärischer Antikörper gegen TNF-alpha (nach der Chimäre aus der griechischen Fabelwelt benannt; eine Chimäre ist ein Lebewesen mit menschlichen und tierischen Anteilen). Die Bezeichnung stammt daher, daß Infliximab produktionstechnisch neben dem menschlichen Anteil einen kleinen Mausanteil enthält (das ist der eigentliche Antikörper, der als sogenannter monoklonaler Antikörper in der Maus gewonnen wird und dann durch biotechnologische Verfahren an menschliches Immunglobulin G „geklebt“ wird).

Da der menschliche Körper diesen Mausanteil als fremd erkennen kann, kann er dagegen Antikörper bilden. Da es sich um Antikörper gegen den chimärischen Antikörper handelt, nennt man dies Antikörper antichimärische Antikörper oder HACA.

HACA´s können dazu führen, daß der monoklonale Antikörper selber in seiner Wirkung abgeschwächt wird oder sogar weitgehend seine Wirkung verliert. Im Verlauf der Therapie äußert sich dies dadurch, daß die Dosisintervalle immer kürzer werden, d.h. die Remicade-Infusionen immer häufiger erfolgen müssen und / oder die Dosis pro Infusion gesteigert werden muß, um denselben therapeutischen Effekt zu erzielen wie zu Therapiebeginn.
 
Bei der Therapie der rheumatoiden Arthritis kommt es in geringerem Maße zu einer HACA-Bildung, wenn die Remicade-Therapie in Kombination mit Methotrexat (Mtx) erfolgt. Dies ist der Grund, warum Remicade für die Therapie der rheumatoiden Arthritis nur in Kombination mit Mtx zugelassen ist.

Leider ist es unter einer laufenden Therapie mit Remicade aus technischen Gründen /  biologischen Gründen nicht möglich, HACA durch Laboruntersuchungen nachzuweisen (solange sich Infliximab im Körper befindet, werden die HACA an diese Substanz gebunden und sind somit diagnostischen Tests nicht zugänglich). Dies gelingt erst sehr viel später, wenn die Remicade nicht mehr im Körper ist, die Antikörper aber noch gebildet werden und dann durch entsprechende, sehr aufwendige Labortests nachgewiesen werden). Ob eine HACA-Bildung vorliegt oder nicht, muß deshalb zunächst „klinisch“ entschieden werden, d.h. aufgrund der vorliegenden Symptome und Befunde und aufgrund des Krankheits- und Behandlungsverlaufs.

Eine andere Möglichkeit ist das Auftreten einer Autoimmunreaktion und die Entwicklung eines Lupus-artigen Krankheitsbildes. Unter einer Therapie mit TNF-alpha-Blockern kann es bei einem kleinen Teil der Patienten zum Auftreten einer solchen Komplikation kommen. Ein wichtiger Test ist dazu der Nachweis von antinukleären Antikörpern (ANA) im Blut. Typische Beschwerden sind u.a. auch eine starke Sonnenempfindlichkeit, das Auftreten von Hautveränderungen, insbesondere an den stark der Sonne ausgesetzten Körperpartien, Gelenkschmerzen oder sogar Gelenkschwellungen, in schweren Fällen auch eine Beteiligung von Herz, Lunge oder Niere. Wenn eine solche Konstellation vorliegt, muß die Therapie mit TNF-alpha-Blockern beendet werden. Danach bildet sich dann das lupus-ähnliche krankheitsbild in der Regel schnell und ohne Folgen zurück. Ein isolierter Nachweis von ANA alleine ist kein Grund, die TNF-alpha-Blocker-Therapie zu unterbrechen oder zu beenden. Allerdings muß der Rheumatologe im Verlauf darauf achten, daß keine Symptome vorliegen, die auf eine lupus-ähnliche Erkrankung hindeuten.

Eine weitere wichtige Ursache für die von Ihnen beschriebenen Symptome ist (neben einer ganzen Reihe von anderen Möglichkeiten) eine Infektion und / oder Reaktivierung einer Infektion mit lymphotropen Viren, d.h. mit Viren, die bevorzugt das lymphatische System betreffen. Dazu gehören insbesondere das Epstein-Barr-Virus (EBV), das Cytomegalie-Virus (CMV) oder auch andere Viren aus der Herpes-Gruppe, z.B. Humanes Herpes-Virus 6 (HHV-6). Der guten Ordnung halber sei auch der AIDS-Erreger HIV erwähnt (der allerdings in Ihrem Fall vermutlich nicht vorliegen dürfte, den man aber wegen der Systematik mit aufzählen muß). Ebenfalls der guten Ordnung halber sei erwähnt, daß eine bekannte, wenn auch seltene Komplikation einer Remicade-Therapie das Auftreten oder die Reaktivierung einer Tuberkulose ist. Diese kann auch mit Lymphknotenschwellungen und einer grippeartigen Symptomatik einhergehen.

Bekanntlich führt eine Therapie mit TNF-alpha-Blockern zu einer mehr oder weniger starken Beeinträchtigung des Immunsystems bzw. der Immunabwehr. Dies betrifft insbesondere auch virale Infekte. Wenn in der Vergangenheit bereits Probleme mit wiederkehrenden EBV-Infekten oder EBV-Reaktivierungen bestanden, ist dieses Risiko unter einer Therapie mit TNF-alpha-Blockern und damit auch unter einer Remicade-Therapie erhöht, insbesondere auch dann, wenn diese, wie üblich und vorgeschrieben, in einer Kombination mit Methotrexat erfolgt.

EBV-Infektionen gehen häufig mit einer begleitenden Entzündung der Leber einher („Begleit-Hepatitis“). Die von Ihnen genannte Erhöhung der Leberwerte paßt deshalb gut zu Ihrer Vermutung, daß eine EBV-Reaktivierung vorliegen könnte (Leberwert-Erhöhungen gibt es aber auch bei einer CMV-Infektion und anderen viralen Erregern; im übrigen sollte man auch die Reaktivierung einer verborgenen und bislang nicht bekannten Infektion mit klassischen Hepatitis-Erregern, speziell auch Hepatitis C, nicht übersehen).

In letzter Zeit wurde sehr intensiv das möglicherweise erhöhte Risiko von Lymphomen (bösartigen Erkrankungen des lymphatischen Systems) unter einer Therapie mit TNF-alpha-Blockern diskutiert. Der pharmazeutische Hersteller von Remicade hat deshalb einen entsprechenden Warnhinweis in den Beipackzettel aufgenommen. Deshalb sei an dieser Stelle abschließend auf diese Möglichkeit hingewiesen. Nach Ihrer Schilderung klingt es nicht danach, daß bei Ihnen eine solche Komplikation vorliegt. Da hier aber Fragen immer allgemein beantwortet werden und insofern auch ein breiteres Spektrum abdecken müssen, sei auf diese ebenso seltene wie prognostisch wichtige Möglichkeit von Lymphknotenschwellungen und Lymphknotenvergrößerungen unter einer Therapie mit TNF-alpha-Blockern hingewiesen.

Eine Fibromyalgie geht nicht mit Lymphknotenschwellungen einher und ist deshalb keine Erklärung für die von Ihnen beschriebenen Symptome. Umgekehrt können allerdings eine Reihe der oben beschriebenen Krankheitsbilder, insbesondere auch Infektionen mit lymphotropen Erregern, mit fibromyalgischen Symptomen einhergehen, die dann nicht zu  der Fehldiagnose eines Fibromyalgie-Syndroms führen dürfen.

Zusammenfassend scheint bei Ihnen ein differenzierter diagnostischer Abklärungsbedarf zu bestehen. Sie sollten darüber mit Ihrem behandelnden Rheumatologen sprechen.

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