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Fragen und Antworten

Eine Frage von Holger A.:

Seit knapp 8 Jahren leide ich an einer Psoriasisarthritis. Nachdem ich Behandlungen mit AZULFIDINE (ca. 6 Jahre) und METHOTREXAT (oral, ca. 6 Monate) wegen Unverträglichkeit und unzureichender therapeutischer Wirksamkeit abbrechen mußte und die aktuelle Behandlung mit ARAVA (seit 8 Monaten) aus denselben Gründen beendet werden muß, hat mein Rheumatologe jetzt eine Therapie mit HUMIRA vorgeschlagen, sobald dies in Deutschland zugelassen wird.

 

Meine Fragen:

 

1. Ich war im Alter von 2 Jahren an Meningitis erkrankt (unbekannte Ursache, Erreger wurde nicht gefunden). Für die damals noch obligatorischen Pockenschutzimpfungen wurde ich aus diesem Grunde dauerhaft zurückgestellt. Ist diese Vorerkrankung problematisch für eine HUMIRA-Behandlung?

 

2. Welche Erkenntnisse haben Sie über mögliche Nebenwirkungen von HUMIRA? Das erhöhte Risiko, an einer Infektion zu erkranken oder an eine bestimmte Krebserkrankung zu entwickeln, ist mir bereits bekannt.

Die Antwort gibt Priv. Doz. Dr. med. H.E. Langer, 19.08.2003:

Humira (Wirkstoff D2E7, Adalimumab) ist ein neuer TNF-alpha-Blocker, der derzeit nur in den USA für die Therapie der rheumatoiden Arthritis / chronischen Polyarthritis zugelassen ist. Für Europa liegt für Adalimumab im Rahmen des europäischen Zulassungsverfahrens die Zulassungsempfehlung der europäischen Zulassungsbehörde EMEA seit dem 22. Mai 2003 vor. Damit ist, wenn alles seinen normalen Gang nimmt, Humira voraussichtlich im September in Deutschland offiziell zugelassen. Derzeit kann die Substanz bei uns nur im Rahmen von klinischen Studien oder in individuellen Heilversuchen angewendet werden.

 

Die Zulassung von Humira gilt nur für die Therapie der rheumatoiden Arthritis / chronischen Polyarthritis. Danach ist Adamlimumab zugelassen für die Behandlung zur Besserung der Symptome und Befunde sowie zur Verhinderung struktureller Schäden bei Erwachsenen mit einer mittelgradig schweren sowie schweren, aktiven rheumatoiden Arthritis, die zuvor auf mindestens eines oder mehrere traditionelle langwirksame Antirheumatika nicht ausreichend angesprochen haben („it is specifically indicated for reducing the signs and symptoms and inhibiting the progression of structural damage in adults with moderately to severely active rheumatoid arthritis who have had insufficient response to 1 or more traditional disease-modifying antirheumatic drugs (DMARDs)”).

 

Für die Therapie der Psoriasisarthritis ist Adalimumab nach unserer Kenntnis bislang weltweit nicht zugelassen. Zugleich steht seit Dezember 2002 mit der europaweiten Zulassung von Etanercept (Enbrel) für die Therapie der Psoriasisarthritis ein TNF-alpha-Blocker zur Verfügung. Wenn nicht sehr spezielle Gründe vorhanden sind, die im individuellen Einzelfall gegen den Einsatz von Etanercept sprechen, dürfte es damit gegenwärtig bei Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung erhebliche Probleme mit der Verordnung von Adalimumab bei einer Psoriasisarthritis geben, da die GKV nach dem jüngsten Urteil des Bundessozialgerichts zum sogenannten „off-label-use“ in einem solchen Fall nicht verpflichtet ist, die entsprechenden Kosten zu übernehmen, und dem verordnenden Arzt damit erhebliche Regressforderungen drohen.

 

Unabhängig davon, dass ich persönlich die Diskussion um den „off-label-use“ als sehr problematisch empfinde und ich mich in meiner eigenen rheumatologischen Tätigkeit auch sehr ungern darauf einlassen möchte, auf den Einsatz von modernen Medikamenten außerhalb offizieller Zulassungen zu verzichten, da die Therapiefreiheit dadurch sehr stark eingeschränkt wird, in vielen Fällen auch eine Behandlung auf dem neuesten wissenschaftlichen Stand der Erkenntnisse erschwert und manchmal sogar ganz unmöglich gemacht wird, nicht zuletzt auch massive Probleme bei der Behandlung von Patienten mit seltenen Erkrankungen auftreten, da für diese Krankheitsbilder in der Regel überhaupt keine größeren klinischen Studien durchgeführt werden (z.T. auch gar nicht durchgeführt werden können) und damit auch keine entsprechenden offiziellen Zulassungen für die einzelnen Medikamente beantragt werden und vorliegen, scheint mir bei Ihnen keine diesbezügliche Not vorzuliegen.

 

Insofern ist es aus der Ferne sehr schwer nachzuvollziehen, warum ihr Rheumatologe Ihnen – so es wirklich um eine Psoriasisarthritis und nicht um eine rheumatoide Arthritis geht - eine Therapie mit Humira vorgeschlagen hat, sobald dieses Präparat in Deutschland zugelassen ist. Entweder besteht bereits jetzt die Indikation zum Einsatz von TNF-alpha-Blockern. In diesem Falle kann ohne Schwierigkeiten und ohne administrative Hinderungsgründe (z.B. fehlende Zulassung) die Therapie einer Psoriasisarthritis mit Etanercept begonnen werden, ohne dass es Schwierigkeiten hinsichtlich möglicher Regressforderungen durch die Krankenkassen gibt. Hinsichtlich der Voraussetzungen zum Einsatz von TNF-alpha-Blockern bei der Therapie entzündlich-rheumatischer Erkrankungen verweisen wir dazu auf die entsprechenden Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie, die dem behandelnden Arzt bekannt sein dürften, ansonsten u.a. auch als Merkblatt beim TNF-alpha-Informationszentrum angefordert werden können. Eine Patientenfassung dieses Merkblattes kann ebenfalls bei TIZ angefordert werden.

 

Da die Kosten (zumindest nach den aus den USA bekannten Daten) für die Therapie mit Adalimumab in etwa mit den Therapiekosten für Etanercept vergleichbar sind, u.U. in Deutschland nach derzeitigen Spekulationen sogar noch etwas darüber liegen könnten, können auch etwaige Kostenargumente hier keine Rolle spielen.

 

Im anderen Fall will er mit dem Einsatz von Humira wirklich warten, bis die entsprechende Indikation für die Psoriasisarthritis in Deutschland offiziell vorliegt. Dann werden Sie allerdings noch eine Zeitlang auf diese Therapie verzichten müssen.

 

Zur Frage der Meningitis-Vorerkrankung:

 

Wenn eine Meningitis-Erkrankung in früher Kindheit durchgemacht wurde und folgenlos abgeheilt ist, außerdem dann später nie mehr Hinweise auf einen Immundefekt, eine erhöhte Infektanfälligkeit oder ein sonstiges erhöhtes Infektionsrisiko bestanden, bestehen aus meine Sicht keine Bedenken gegen eine Therapie mit TNF-alpha-Blockern. Dies betrifft nicht nur die in der Rheumatologie schon länger routinemäßig eingesetzten Substanzen (Etanercept = Enbrel, Infliximab = Remicade), sondern auch Adalimumab, für das allerdings Erfahrungen bislang in erster Linie aus den klinischen Studien und seit der Zulassung in den USA im begrenzten Umfang auch aus den dortigen ersten Erfahrungen in der täglichen Praxis herrühren.

 

Zu Erkenntnissen über mögliche Nebenwirkungen von Humira:

 

Das Nebenwirkungsspektrum von Adalimumab ist in erster Linie aus der klinischen Studien bekannt.

 

Als unerwünschte Wirkungen traten bei Adalimumab in den Mono-Studien am häufigsten Kopfschmerzen, Hautausschlag und Juckreiz auf. Zu den schweren unerwünschten Wirkungen gehörten Knochenbrüche und Pneumonien (Lungenentzündungen).

 

Da aus der TNF-alpha-Blockade eine erhöhte Rate an Knochenbrüchen unmittelbar nicht zu erklären ist, stellt sich die Frage, ob sie nicht unabhängig von der Therapie mit Adalimumab auftraten. In klinischen Studien werden zunächst erst einmal alle unerwünschten Ereignisse dokumentiert, unabhängig davon, ob ein Zusammenhang mit der Prüfmedikation vermutet wird oder nicht. Wahrscheinlich hat das vermehrte Auftreten von Knochenbrüchen mit der Humira-Therapie nicht direkt etwas zu tun.

 

In der Kombination mit Methotrexat waren Hautreaktionen im Bereich der Einstichstelle („injection site reactions“), Infektionen der oberen Atemwege und das Auftreten von Herpes (Herpes simplex) häufig beobachtete Nebenwirkungen.

 

Grundsätzlich sind andere, vermutlich klassenspezifische Nebenwirkungen der monoklonalen Antikörper gegen TNF auch bei Adalimumab möglich. So wurde unter der Therapie mit Infliximab in seltenen Fällen (bei ca. 0.2% der Patienten) das Auftreten lupus-ähnlicher Symptome beobachtet (der systemische Lupus erythematodes (SLE) ist eine Autoimmunkrankheit bislang unklarer Ursache), die in der Regel nach Absetzen des Präparates wieder völlig verschwindet.

 

Theoretisch ist deshalb auch bei Adalimumab das Auftreten lupus-artiger Symptome möglich. Allerdings wurden solche in den klinischen Studien bisher nicht beobachtet worden.

 

Der guten Ordnung halber muß darauf hingewiesen werden, dass bei allen bisher zur Verfügung stehenden TNF-alpha-Blockern das Risiko von Infektionen erhöht ist. Hauptsächlich handelt es sich um harmlose Infekte. Es können sich aber auch schwere, z.T. lebensbedrohliche Infektionen entwickeln. Ein spezielles Risiko der monoklonalen TNF-alpha-Antikörper (Infliximab, Adalimumab), weniger des löslichen TNF-alpha-Rezeptors (Etanercept) ist die Reaktivierung einer verborgenen Tuberkulose. Entsprechende Voruntersuchungen sind deshalb vor Aufnahme einer Therapie mit diesen Substanzen notwendig.

In Einzelfällen kann es auch zu Infektiionen mit sogenannten „opportunistischen“ Erregern kommen, d.h. mit Keimen, die normalerweise beim Gesunden mit einer intakten Immunabwehr nicht zu einer Krankheit führen, unter den Bedingungen einer geschwächten Immunabwehr jedoch Symptome und eine manifeste Erkrankung hervorrufen können.

 

In Einzelfällen wurden bei Patienten mit einer rheumatoiden Arthritis unter der Therapie mit TNF-alpha-Blockern MS-ähnliche Symptome und Befunde beobachtet, insbesondere sogenannte Demyelinisierungen im Nervensystem, wie sie auch bei einer Multiplen Sklerose vorkommen. Mit Absetzen der TNF-alpha-Blocker-Therapie bilden sich diese Symptome normalerweise zurück. Patienten mit einer MS und verwandten Erkrankungen sollten deshalb aber nicht mit TNF-alpha-Blockern behandelt werden.

 

Aus rein theoretischen Erwägungen heraus war die Möglichkeit diskutiert worden, dass die Therapie mit TNF-alpha-Blockern mit einem erhöhten Krebsrisiko einhergehen könnte, speziell auch mit einem erhöhten Risiko bestimmte Arten von Lymphdrüsenkrebs (sogenannte Non-Hodgkin-Lymphome). In der klinischen Studien zu Adalimumab war eine erhöhte Rate von Lymphomen beobachtet worden. Die amerikanische Zulassungsbehörde hatte daraufhin zunächst mit einem entsprechenden Hinweis reagiert.

 

Mittlerweile liegt aber eine umfassende Auswertung der bislang vorhandenen Daten zur Therapie mit TNF-alpha-Blockern vor, insbesondere auch aus der Langzeiterfahrung mit den schon länger zugelassenen Substanzen Etanercept und Infliximab. Danach bestehen derzeit keine Hinweise, dass die Therapie mit TNF-alpha-Blockern zu einem erhöhten Risiko an bösartigen Erkrankungen einhergeht, das über das krankheitsassoziierte Risiko bei einer rheumatoiden Arthritis hinausgeht. Speziell gilt dies auch für maligne Lymphome, wobei hier anzumerken ist, dass das Risiko, an einem malignen Lymphom zu erkranken, bei Patienten mit rheumatoider Arthritis schon durch die Erkrankung selbst gegenüber Gesunden erhöht ist.

 

Eine definitive Bewertung der Sicherheit ist allerdings gegenwärtig für alle TNF-alpha-Blocker noch nicht möglich, da selbst die mittlerweile für eine größere Zahl von Patienten vorliegenden Beobachtungszeiträume von mehr als 6 Jahren unter einer kontinuierlichen Therapie mit Etanercept oder Infliximab nicht auch ausreichen, um eventuelle Spätfolgen abschätzen zu können.

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