Sie sind hier: rheuma-online » Archiv » Fragen und Antworten

Fragen und Antworten

Eine Frage von Christiane L.S.:

Wir haben eine fünfjährige Tochter, die seit ca. 6 Monaten einmal wöchtlich MTX (7,5mg) bekommt. Merle leidet unter juveniler chronischer Arthritis. Sie verträgt es ohne große Nebenwirkungen und ist seit dem beschwerdefrei. Trotzdem machen wir uns im Hinblick auf eine Langzeittherapie Gedanken über eventuelle Nebenwirkungen des Medikamentes, die heute noch nicht absehbar erscheinen. Gibt es Erfahrungswerte, inwiefern MTX sich negativ auf innere Organe auswirken kann? Über eine Antwort würden wir uns freuen?

 

Die Antwort gibt Priv. Doz. Dr. med. H.E. Langer, 1.10.2001:

Bei jeder medikamentösen Behandlung einer rheumatischen Erkrankung geht es um die zentrale Frage von Nutzen und Risiko der Therapie. Dies gilt umso mehr bei der Behandlung von noch sehr jungen rheumakranken Kindern, da hier die Eltern letztendlich für einen anderen Menschen teilweise schwerwiegende Entscheidungen auch für das zukünftige Leben des Kindes Entscheidungen treffen müssen.

Um für diese auch ärztlich oft sehr schwierige Entscheidung Hilfestellungen zu haben, sollte man sich in einem ersten Schritt die Frage beantworten, welche Erkrankung vorliegt, d.h. welche genaue Diagnose, und wie sicher diese Diagnose ist.

Bei der juvenilen chronischen Arthritis gibt es 5 Unterformen, die jeweils auch unterschiedliche Prognosen haben, d.h. in der Regel unterschiedlich schwer verlaufen. Innerhalb der einzelnen Diagnose-Untergruppen gibt es dann ebenfalls noch einmal eine gewisse Variationsbreite, d.h. beispielsweise kleine Mädchen mit einer juvenilen Arthritis vom Oligoarthritis-Typ ("Jungmädchen-Typ), bei denen mehr Gelenke betroffen sind und die Entzündungsaktivität hoch ist und die Arthritis eigentlich ständig vorhanden ist und andere kleine Mädchen mit derselben Diagnose, bei denen aber weniger Gelenke betroffen sind, die Entzündungsaktivität niedrig ist und bei denen es u.U. zwischendurch immer wieder zu Phasen kommt, wo man Erkrankung nicht mehr vorhanden zu sein scheint. Eine andere wichtige Frage ist speziell bei der juvenilen chronischen Arthritis, ob Organe außerhalb des Bewegungssystems betroffen sind, z.B. die Augen (vor allem Iritis beim Jung-Mädchen-Typ) oder Milz, Leber oder Nieren bei der schwersten Form des Kinderrheumas, dem M. Still oder der sogenannten systemischen Form der juvenilen chronischen Arthritis.

Weiterhin sollte man sich Gedanken zu den bereits eingetretenen Folgen der Erkrankung machen, d.h. einer möglicherweise bereits bestehenden "Behinderung" in einer sehr weitgefaßten Auslegung des Begriffes. Dies beinhaltet z.B. einerseits bereits eingetretene Bewegungseinschränkungen in Gelenken oder bereits eingetretene Fehlstellungen, Wachstumsstörungen von Knochen oder Gelenken etc, darüber hinaus aber auch Krankheitsfolgen im gesamten psychosozialen Umfeld, d.h. im Zusammenleben innerhalb der Familie, mit den Geschwistern, aber auch draußen im Kindergarten, mit Freunden, in der Schule, im Sportverein etc.. Berücksichtigen muß man auch die jeweilige Rolle des Kindes in den angesprochenen "Settings" und die Frage, woher das Kind seine jeweilige Anerkennung bezieht. Positioniert es sich beispielsweise im Kindergarten besonders dadurch vor den anderen Kindern, weil es besonders schnell laufen kann, wird sich eine Beteiligung der Kniegelenke oder Sprunggelenke ganz erheblich auf dieses Gefüge auswirken. Ein Kind, das eher kein "Bewegungskind" ist, wird hingegen darunter weniger leiden. Je nach Charakter und Temperament eines Kindes sowie je nach familiärer Situation sind diese Folgen oft sehr erheblich, gleichzeitig werden sie von Eltern, Betreuern, im Kindergarten oder in der Schule nicht in dem Umfang wahrgenommen, wie das Kind in Wirklichkeit belasten. Auf der Grundlage dieser Überlegungen sollte man versuchen, die Schwere der Erkrankung und der Krankheitsfolgen im Sinne einer individuellen Bestandsaufnahme zu definieren und eine individuelle Prognose für den weiteren Krankheitsverlauf und die Zukunft abzuschätzen.

Demgegebenüber stehen dann die Frage zu den verschiedenen therapeutischen Möglichkeiten:

Wie hoch ist die zu erwartende Wirkung? Wie schnell ist der Wirkungseintritt zu erwarten? Wie nachhaltig ist die erhoffte Wirkung? Besteht die Chance, eine Remission einzuleiten und im günstigsten Fall durch dieses Medikament eine Heilung zu erzielen? Wenn nicht dieses, besteht wenigstens die Chance, das weitere Fortschreiten der Erkrankung aufzuhalten oder wenigstens das Tempo der Erkrankung zu bremsen? Oder ist es ein Medikament, das rein symptomatisch wirkt, d.h. das im Augenblick zwar zu einer Linderung der Symptome führt, aber an der eigentlichen Erkrankung nichts ändert?

Was sind die zu erwartenden Risiken der Therapie? Wie häufig kommt es beispielsweise zu unerwünschten Wirkungen / Nebenwirkungen? Wie sehen diese aus? Sind die möglichen Nebenwirkungen in der Regel eher harmlos oder ist auch mit schwerwiegenderen Nebenwirkungen zu rechnen? Wie häufig kommen solche schwerwiegenden Nebenwirkungen vor? Wenn es zu möglichen Nebenwirkungen kommt: Bilden diese sich nach Absetzen des Medikaments zurück oder muß man mit bleibenden Schäden rechnen? Wenn es, wie häufig in der Rheumatologie, mehrere mögliche Medikamente gibt: Worin unterscheiden sich diese? Was sind die Vorteile, was sind die Nachteile des einen oder anderen Medikaments?

Die große Kunst einer optimalen Rheumatherapie besteht dann darin, das sehr konkrete Risiko der rheumatischen Erkrankung mit ihren möglichen, teilweise schwerwiegenden Folgen gegen das mögliche Risiko der medikamentösen Behandlung abzuwägen. Ich selber stelle mir dabei oft die Situation bei einem brennenden Haus vor. Wenn es dabei nur in der Ecke eines Zimmers brennt, brauche ich nicht so einen hohen und z.T. auch mit Nebenwirkungen einhergehenden Löschmitteleinsatz wie in dem Fall, daß das Erdgeschoß lichterloh in Flammen steht und sich in den oberen Stockwerken noch Menschen befinden.

Speziell im Fall von Methotrexat handelt es sich um eine langwirksame antirheumatische Substanz, die in der Behandlung von Erwachsenen mit z.B. einer chronischen Polyarthritis inzwischen weltweit zum Standardmedikament geworden ist. Da Methotrexat in der Rheumatherapie bei Erwachsenen schon mehr als 2 Jahrzehnte verwendet wird, gehört es zu den am besten bekannten Präparaten überhaupt. Auf der Basis dieser Kenntnisse kann man zumindest für die Erwachsenenrheumatologie sagen, daß es zum einen in der Lage ist, im günstigsten Fall eine Remission und langfristig auch Heilungsprozesse einzuleiten und daß es zum anderen in den seltensten Fällen zu schwerwiegenden Behandlungskomplikationen führt. Dies gilt in der Erwachsenenrheumatologie auch für sehr lange Behandlungszeiten von teilweise mehr als 10 Jahren.

In der Kinderrheumatologie wird Methotrexat noch nicht so lange wie in der Erwachsenenrheumatologie eingesetzt. Dies liegt nicht daran, daß die Kinderärzte besondere Angst vor Mehtotrexat gehabt hätten, sondern ist aus meiner Sicht darauf zurückzuführen, daß über einen langen Zeitraum in der Kinderrheumatologie die Therapiestrategien sehr deutlich von den Strategien in der Erwachsenenrheumatologie unterschieden waren. Diese Unterschiede verwischen sich in der letzten Zeit immer mehr, parallel wird Methotrexat auch in der Kinderrheumatologie immer häufiger und mit großem Erfolg eingesetzt. Da die juvenile chronische Arthritis allerdings eine wesentlich seltenere Erkrankung als die chronische Polyarthritis des Erwachsenen ist und der breitere Einsatz von Methotrexat in der Kinderrheumatologie auch erst sehr viel später erfolgte, liegen hier noch nicht so umfangreiche Erfahrungen wie aus der Behandlung des Erwachsenen vor. Wenn man allerdings den (methodisch nicht ganz zulässigen) Schritt wagt und von den Erfahrungen aus der Erwachsenenrheumatologie auf die Behandlung des Kinderrheumas schließt, dürfte es sich auch dort um eine vergleichsweise sehr gut wirksame Substanz mit vergleichsweise wenigen und vor allem auch vergleichsweise wenig schweren Nebenwirkungen handeln. Ebenso lassen die Erfahrungen aus der Erwachsenenmedizin vermuten, daß es auch bei der längeren oder sogar sehr langen Anwendung von Methotrexat bei Kindern nicht zu schweren und dauerhaften Folgeschäden kommt.

Garantieren kann dies allerdings niemand; das gilt aber auch für alle anderen Medikamente.

Vielleicht abschließend eine Bemerkung: Ich selber versuche mir immer zu überlegen, was ich tun würde, wenn ich selber Patient wäre oder was ich tun würde, wenn ich meine Kinder in der vergleichbaren Lage behandeln müßte (ich weiß, daß dieser Ansatz kritikwürdig ist, weil sich Ärzte bekanntlich selber in der Regel sehr schlecht behandeln; dies gilt auch für ihre Familienangehörigen; aber vielleicht sollte man diesen Gesichtspunkt jetzt einmal außer Betracht lassen). Was ich sagen will: Wenn Sie bei Ihrem Arzt den Eindruck haben, daß er seine eigenen Kinder auch so behandeln würde wie Ihr Kind, ist dies schon einmal eine ganz gute Ausgangssituation. Und wenn ihr behandelnder Arzt dann auch noch ein Rheumatologe, noch besser sogar ein Kinderrheumatologe ist oder bei der Behandlung wenigstens in regelmäßigen Abständen einen Rheumatologen oder noch besser einen Kinderrheumatologen in die Behandlung mit einbezieht, sollte Ihr Kind, so weit man dies überhaupt beurteilen kann, in sehr guten Händen sein.

 

Copyright © 1997-2024 rheuma-online
rheuma-online Österreich
 
Alle Texte und Beiträge in rheuma-online wurden nach bestem Wissen und Gewissen erstellt. Irrtümer sind jedoch vorbehalten. Alle Angaben sind ohne Gewähr. Jegliche Haftungsansprüche, insbesondere auch solche, die sich aus den Angaben zu Krankheitsbildern, Diagnosen und Therapien ergeben könnten, sind ausgeschlossen.