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Fragen und Antworten

Eine Frage von Heinz Ö., 82 Jahre:

Ich habe Schmerzen in den Finger-, Ellenbogen-, Schulter- und Fußgelenken. Die Ganzkörperszintigraphie hat keinen wesentlichen Befund gebracht. Der Rheuma-Faktor ergab 28 IU/ml, die Blutsenkung 30/58 mm.

Die Orthopädie-Ärztin tippt jetzt aus dem Handgelenk auf "Muskelrheuma", da dieses röntgenmäßig nicht nachweisbar sei, und hat eine Cortisontherapie verordnet, bisher 14 Tage, 50-45-40-35-30-20 mg pro Tag. Anfangs gab es eine leichte Besserung, aber keinen durchschlagenden Erfolg, bis auf eine angeblich erheblich geringere Blutsenkung.

Ich möchte keine Langzeit-Therapie mit Cortison, ich fürchte die Nebenwirkungen, u.a. Depressionen, mit denen ich zutun habe, und möchte die Therapie nicht fortsetzen. Habe auch meine Zweifel, ob ich tatsächlich Muskelrheuma habe, und auf bloßen Verdacht möchte ich eine Behandlung sowieso nicht durchführen lassen.

Ich möchte jetzt folgendes fragen:

Wie ist Muskelrheuma korrekt zu diagnostizieren, etwa ausschließlich durch die Blutsenkung?

Welcher Facharzt ist zuständig?

Gibt es eine Alternative zu Cortison. ggf.welche?

Die Antwort gibt Priv. Doz. Dr. med. H.E. Langer, 1.01.1970:

Aus der Ferne kann und darf ich keine individuellen Ratschläge und Hinweise zur Diagnose und zur Therapie geben. Allgemein kann man aber sagen, dass die Frage nach einer beginnenden Polymyalgia rheumatica im Raum steht. Diese Erkrankung ist typischerweise durch stammnah betonte Muskelschmerzen gekennzeichnet, charakteristischerweise im Bereich des Schultergürtels, der Oberarme, des Beckengürtels, der Gesäßmuskulatur sowie der Oberschenkelmuskulatur. Neben den Schmerzen besteht eine ausgeprägte Steifigkeit in der Muskulatur, besonders auch morgens beim Aufwachen, sowie eine deutliche muskuläre Schwäche. Daneben finden sich häufig Allgemeinsymptome wie ein allgemeines Krankheitsgefühl und eine allgemeine körperliche Abgeschlagenheit und Leistungminderung sowie eine erhöhte Körpertemperatur bis hin zu leichtem Fieber. Nicht selten kommt es zu einer Gewichtsabnahme, außerdem ist die Erkrankung häufiger von Stimmungsschwankungen bis hin zu ausgeprägten Depressionen begleitet.

Die Polymyalgia rheumatica entwickelt sich in der Regel rasch, d.h. innerhalb von wenigen Tagen, normalerweise innerhalb von ein bis zwei Wochen.

Typische Symptome bei Krankheitsbeginn sind ein morgendlich betonter Muskelschmerz in den Muskelgruppen, die nah am Körper sind (Oberarme, Oberschenkel), z.T. begleitet von einer ausgeprägten Muskelschwäche. Typisch ist weiterhin eine deutliche Morgensteifigkeit von einer Stunde und länger. Häufig beginnt eine Polymyalgia rheumatica auch mit starken Nackenschmerzen, die in die Schläfe und in die Augenregion einstrahlen. Je nach Entzündungsaktivität geht sie darüber hinaus mit Gewichtsabnahme, erhöhten Körpertemperaturen, allgemeinem Krankheitsgefühl und manchmal auch ausgeprägter Depressivität einher. Bei den Laborbefunden ist die Blutsenkung stark bis sehr stark erhöht, so daß oft zuerst an einen Tumor gedacht wird.

Schwierig ist manchmal die Abgrenzung zu einer chronischen Polyarthritis des älteren Menschen, die häufig so ähnlich wie eine Polymyalgia rheumatica beginnt. Diese Erkrankung wird unter Verwendung einer Diagnose aus dem Angloamerikanischen auch LORA genannt (late onset rheumatoid arthritis = spät beginnende rheumatoide Arthritis, Alters-RA).

An eine Alters-RA (LORA) sollte immer dann gedacht werden, wenn es neben muskulären Symptomen zu Beschwerden in Gelenken kommt, insbesondere auch zu typischen Gelenkentzündungen (Arthritis) mit Gelenkschwellungen. Dabei ist es oft schwierig, Schmerzen im Schultergürtel im Rahmen einer Polymyalgie von Schmerzen im Schultergelenk bei einer Schultergelenksarthritis zu unterscheiden. Ähnliches gilt auch für das Hüftgelenk. Wenn man aber einen Gelenkerguß in diesen Gelenken nachweisen kann, spricht dies gegen eine Polymyalgia rheumatica und für eine LORA. Noch mehr in Richtung einer LORA deuten Symptome in den peripheren Gelenken, beispielsweise in den Fingergelenken und Zehengelenken, Handgelenken, Ellenbogengelenken, Sprunggelenken oder Kniegelenken.

Die Polymyalgia rheumatica ist eine der prognostisch günstigen rheumatischen Erkrankungen, wenn sie rechtzeitig diagnostiziert und adäquat behandelt wird.

Die Behandlung der Polymyalgia rheumatica hat sich in den letzten Jahren stark gewandelt. Früher wurde nur ---> Cortison gegeben, dabei wurden in der Regel ziemlich hohe Mengen verabreicht. Das Ergebnis war oft eine Heilung der Polymyalgie, aber mit dem Preis einer starken, durch die hohen Cortisonmengen verursachten Knochenentkalkung (---> Osteoporose) und anhaltenden Rückenschmerzen oder anderen Osteoporosefolgen.

Die moderne Therapie der Polymyalgia rheumatica kommt (gerade zu Anfang) auch nicht ohne Cortison aus. Um Cortison zu sparen, wird aber heute auch bei der Polymyalgia rheumatica eine ---> langwirksame antirheumatische Therapie begonnen (z.B. mit ---> Chloroquin oder ---> Methotrexat (z.B. Lantarel). Wichtig ist, daß die Therapie mindestens ein Jahr lang konsequent durchgeführt wird. Oft ist auch eine längere Therapiedauer notwendig, um den Entzündungsprozeß entgültig zu stoppen.

Bei der Alters-RA (LORA) muß von Anfang an mit einer langwirksamen antirheumatischen Therapie begonnen werden, da sie oft durch einen prognostisch ungünstigen Verlauf und ein rasches Fortschreiten mit einem oft rapide zunehmenden Funktionsverlust und einer schnell zunehmenden Behinderung gekennzeichnet ist. Um die Entzündung schnell zu kontrollieren, wird auch bei der LORA anfangs Cortison gegeben, allerdings oft in niedrigeren Dosierungen als bei der Polymyalgia rheumatica. Als langwirksames Antirheumatikum wird auch bei der Alters-RA vorzugsweise Methotrexat (Mtx) eingesetzt.

Spezialisten für die Diagnose einer Polymyalgia rheumatica und alternativ in Frage kommender Erkrankungen wie die Alters-RA und weitere Krankheiten sind internistische Rheumatologen, d.h. Fachärzte für Innere Medizin mit einer zusätzlichen Weiterbildung im Schwerpunkt Rheumatologie.

Weitere Informationen zur Polymyalgia rheumatica:

rheuma-online.de/krankheitsbilder/polymyalgia-r.php3

rheuma-online.de/a-z/polymyalgia-rheumatica.html

 

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