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Fragen und Antworten

Eine Frage von Norbert K.:

Ich bin 20 Jahre alt und habe seit 6 Jahren Morbus Crohn. Vor einem Jahr, am 21. Oktober 2002, bin ich auf Imurek eingestellt worden, leider mit mäßigem bis gar keinem Erfolg. Ich mußte meine Ausbildung abbrechen, da die allgemeinen Symptome, wie Krämpfe und Durchfall immer wieder auftraten. Auch Müdigkeit und Abgeschlagenheit sowie große Konzentrationsschwierigkeiten waren zu verzeichnen.

 

Glücklicherweise habe ich eine neue Ausbildungsstelle im selben Berufszweig gefunden, bin aber leider zum jetzigen Zeitpunkt genauso weit wie vor einem Jahr: seit 4 Wochen krankgeschrieben, Krämpfe, Durchfall, allgemein schlechter Zustand, dazu kommen noch große Zukunftsängste und depressive Symptome.

 

Nun hat mir mein behandelnder Arzt vorgeschlagen, mit einer Remicade-Therapie zu beginnen. Was muß ich tun, wie soll ich meinen Alltag verändern oder muß ich das überhaupt? Darf ich rauchen? Muß ich mich besonders vor Erkältungen in Acht nehmen? Bitte helfen Sie mir, ich bin sehr unsicher und verzweifelt.

 

Die Antwort gibt Priv. Doz. Dr. med. H.E. Langer, 1.11.2003:

Remicade (Wirksubstanz: Infliximab) ist ein Arzneimittel aus der Gruppe der biologischen Medikamente („biologicals“).

 

Biologische Medikamente sind Arzneimittel aus einer ganz neuen Medikamentenklasse. Diese Medikamentenklasse der biologicals unterscheidet sich vollkommen von allen bislang bei der Therapie des M. Crohn zum Einsatz kommenden Therapieformen.

 

Es handelt sich dabei um Substanzen, die mit modernster Biotechnologie unter sehr hohem technischen Aufwand und unter Einsatz aufwendigster Entwicklungs- und Fertigungsmethoden hergestellt werden.

 

Ihre Bezeichnung haben biologische Therapien daher, daß sie durch die medikamentöse Verabreichung von biotechnologisch hergestellten Kopien körpereigener Substanzen oder durch die zielgerichtete Blockade von körpereigenen Substanzen gezielt in biologische Mechanismen der Krankheitsentstehung und Krankheitsausbreitung im Körper eingreifen.

 

Bei M. Crohn spielt der körpereigene Botenstoff TNF-alpha eine Schlüsselrolle bei der Entstehung und Ausbreitung der chronischen Darmentzündung, außerdem ist er in erheblicher Weise für die Allgemeinsymptome bei dieser Erkrankung verantwortlich, z.B. Müdigkeit bis hin zu völliger Erschöpfung, verminderter Leistungsfähigkeit etc.

 

 

Infliximab (Remicade) ist ein sogenannter monoklonaler Antikörper gegen TNF-alpha. Ein solcher Antikörper setzt sich gezielt auf TNF-alpha, das von den TNF-alpha-produzierenden Zellen im Körper freigesetzt wird, und verhindert damit, daß TNF-alpha als Botenstoff an anderen Zellen eine Entzündungsreaktion auslöst. Der TNF-alpha-Antikörper unterbindet auf diese Weise die biologische Wirkung von TNF-alpha, d.h. durch Infliximab wird zielgerichtet die Entzündung und das Fortschreiten der Entzündung verhindert.

 

Als internistischer Rheumatologe verfüge ich naturgemäß in erster Linie über Erfahrungen mit der Remicade-Therapie bei entzündlich-rheumatischen Erkrankungen, bekomme aber zunehmend auch Anfragen von Gastroenterologen zur Remicade-Therapie und zur Therapie des M. Crohn.

 

Remicade wird bei M. Crohn eingesetzt zur Behandlung von schweren, aktiven Verläufen, die auf eine immunsuppressive Therapie, z.B. Imurek, und Cortison nicht ausreichend angesprochen haben oder bei denen eine solche Therapie wegen einer Unverträglichkeit oder wegen einer medizinischen Gegenanzeige („Kontraindikation“) nicht durchgeführt werden kann oder darf.

 

Normalerweise erfolgt die Remicade-Therapie bei M. Crohn als sogenannte Monotherapie, d.h. ohne weitere krankheitsmodifizierende Therapie. In letzter Zeit gibt es aber zunehmende Hinweise darauf, daß die Therapie mit Remicade langfristig wirksamer ist und auch über längere Zeiträume erhalten werden kann, wenn sie in Kombination mit einer Immunsuppression durchgeführt wird, z.B. bei gleichzeitiger Gabe bzw. unter Fortführung der Azathioprin-Therapie (z.B. Imurek).

 

Die Wirksamkeit von Remicade bei M. Crohn ist in klinischen Studien gut belegt.

 

Die Wirkung von Remicade tritt sehr schnell ein. Einige Patienten berichten über eine deutliche Verbesserung ihrer Symptome schon innerhalb eines Tages nach der Infusion. Bei der Mehrzahl der Patienten liegt der Wirkungseintritt in einem Zeitraum von 2-3 Wochen nach Therapiebeginn. Wenn innerhalb der ersten drei Monate kein therapeutisches Ansprechen zu verzeichnen ist, ist durch eine Fortsetzung der Therapie keine wesentliche weitere Verbesserung zu erwarten.

 

Zur Sicherheit und Verträglichkeit der Therapie mit Remicade liegen mittlerweile umfangreiche Erfahrungen aus der Behandlung von weltweit mehr als 430.000 Patienten mit Autoimmunerkrankungen und aus den klinischen Studien vor, die im Zeitraum der letzten 10 Jahre durchgeführt wurden.

 

Die Sicherheit und Verträglichkeit bei der Therapie eines M. Crohn entspricht dabei im wesentlichen den Erfahrungen auch aus den anderen Anwendungsbereichen, d.h. bei der Therapie der rheumatoiden Arthritis und der ankylosierenden Spondylitis (M. Bechterew).

 

Insgesamt ist die Verträglichkeit von Remicade gut. Mögliche Nebenwirkungen sind vorübergehende Reaktionen auf die Infusion. Dazu gehören ein Anstieg des Blutdrucks oder der Herzfrequenz, Hautreaktionen oder andere Symptome, die an eine Allergie erinnern.

 

Aus den klinischen Studien sind als weitere etwas häufigere mögliche Nebenwirkungen außerdem Übelkeit und Kopfschmerzen, Husten, Hitzewallungen, daneben auch Durchfälle und Juckreiz bekannt.

 

Im Therapieverlauf ist vor allem eine erhöhte Infektionsrate eine wichtige mögliche Nebenwirkung von Remicade. Meistens handelt es sich um banale Infekte der oberen Luftwege wie normale Erkältungen, weiterhin auch Bronchitis, Halsschmerzen oder Nebenhöhlenentzündungen. In den klinischen Studien wurde auch eine erhöhte Rate an Harnwegsinfekten beobachtet.

 

Allerdings kann es im Einzelfall auch zu schweren Infektionen kommen, die eine antibiotische Therapie erforderlich machen, in seltenen Fällen sogar eine Krankenhausbehandlung.

 

Schwere Infektionen sind glücklicherweise selten. Allerdings können sie auftreten und sind dann u.U. auch gefährlich, wenn sie nicht rechtzeitig erkannt und behandelt werden.

 

Deshalb sollte man bei allen unklaren Symptomen unter einer Therapie mit Remicade mit seinem behandelnden Arzt Kontakt aufnehmen. Dabei ist der behandelnde Gastroenterologe der vorrangige Ansprechpartner, da er die entsprechende Erfahrung mit der Remicade-Therapie besitzt und am ehesten beurteilen kann, ob eine kritische Situation vorliegt oder nicht.

 

Ein spezieller Warnhinweis bei der Remicade-Therapie betrifft die erhöhte Rate von Tuberkulosen. Dabei handelt es sich in der Regel um eine Reaktivierung bereits vorhandener, latenter (verborgener) Tuberkulosen. Deshalb muss vor Beginn der Remicade-Therapie ein Test auf Tuberkulose durchgeführt werden.

 

Bei diesem Test, in der Regel einem Hauttest, handelt es sich um eine einfache diagnostische Maßnahme, durch die das Risiko einer Tuberkulose-Komplikation unter einer Therapie mit Infliximab ganz erheblich verringert werden kann.

 

Der pharmazeutische Hersteller von Remicade weist darauf hin, daß unter einer Therapie mit Infliximab keine Schwangerschaft eintreten darf und deshalb eine Schwangerschaft während der Therapie und über einen Zeitraum von 6 Monaten nach Beendigung der Remicade-Behandlung sicher verhütet werden muß. Ebenso gilt der Hinweis, daß Männer unter der Therapie mit Remicade und in den folgenden 6 Monaten nach Therapieende keine Kinder zeugen dürfen. Während einer Schwangerschaft sollte eine Therapie mit Infliximab nur erfolgen, wenn eine absolute Notwendigkeit besteht und andere Behandlungsmöglichkeiten nicht zur Verfügung stehen.

 

Diese Empfehlungen sind in erster Linie vor dem Hintergrund zu sehen, daß es gegenwärtig aus den klinischen Studien und aus dem bisherigen Zeitraum nach der offiziellen Zulassung von Remicade noch keine ausreichenden Daten zur Frage einer Schwangerschaft unter einer Therapie mit Infliximab gibt. Unter einem rein theoretischen Blickwinkel ist es vom Wirkmechanismus der TNF-alpha-Blocker her nicht zu erwarten, dass im Hinblick auf die Zeugung oder eine Schwangerschaft mit irgendwelchen ungünstigen Effekte zu rechnen ist.

 

In diese Richtung gehen auch die ersten Erfahrungen aus vereinzelten Mitteilungen in der wissenschaftlichen Literatur und aus einer Befragung von US-amerikanischen Rheumatologen zum Ausgang von Schwangerschaften unter einer Therapie mit TNF-alpha-Blockern. Insgesamt gibt es Daten von 50 Schwangerschaften unter Infliximab. Dabei gab es im Vergleich zu einer nationalen Kohorte von gesunden Frauen keine Abweichungen. Allerdings ist die Zahl der berichteten Schwangerschaften unter Infliximab so gering, dass derzeit nur sehr vorsichtige und vorläufige Aussagen aus dieser Studie möglich sind.

 

Von der US-amerikanischen Zulassungsbehörde FDA werden die Medikamente aus der Substanzklasse der TNF-alpha-Blocker zum gegenwärtigen Zeitpunkt im Hinblick auf das Risiko für eine Schwangerschaft in die Klasse B eingestuft. Dies bedeutet, dass es aus Tierexperimenten keine Hinweise auf eine Schädigung für das Kind im Mutterleib oder für ein Missbildungsrisiko gibt, aber andererseits ausreichende Daten von Schwangerschaften beim Menschen nicht vorliegen.

 

Da keine Daten dazu vorliegen, ob Infliximab während der Stillzeit in die Muttermilch übergeht und andererseits von anderen Medikamenten und Immunglobulinen ein Übertritt in die Muttermilch bekannt ist, wird empfohlen, entweder unter einer Remicade-Therapie auf das Stillen zu verzichten oder die Remicade-Therapie während der Stillperiode zu unterbrechen. Dabei muß allerdings im Auge behalten werden, daß es nach Absetzen von Remicade zu einem Krankheitsschub kommen kann.

 

Da es unter einer Therapie mit Infliximab zu einer Beeinträchtigung der Immunabwehr und einer veränderten Immunreaktion kommen kann, sollten Impfungen mit Lebendimpfstoffen während der Remicade-Behandlung nicht erfolgen, von begründeten Ausnahmefällen im Einzelfall abgesehen. Keine Bedenken bestehen gegenüber Impfungen mit Totimpfstoffen. Allerdings muß darauf hingewiesen werden, daß es unter einer Therapie mit TNF-alpha-Blockern zu einer abgeschwächten oder fehlenden Impfreaktion kommen kann, d.h. die Impfung u.U. nicht den erwünschten Schutz bietet.

 

Derzeit gibt es noch keine größeren Erfahrungen mit dem Verlauf und der Komplikationsrate von operativen Eingriffen bei Patienten, die mit Remicade behandelt werden. Ist unter einer laufenden Therapie mit Remicade eine Operation geplant, sollte der Operationszeitpunkt so gewählt werden, daß er in die Mitte oder das letzte Drittel zwischen zwei Infusionen fällt, d.h. in der Regel 4-6 Wochen nach der letzten Infusion. Nach Abschluß der Wundheilung und bei einem unkomplizierten postoperativen Verlauf ist dann eine Wiederaufnahme der Remicade-Infusionen innerhalb des normalen Intervalls und damit die Fortführung der Therapie im üblichen Rhythmus möglich.

 

Damit eine hohe Therapiesicherheit unter einer Remicade-Therapie sichergestellt ist, sollte die Behandlung mit Infliximab (Remicade) nur durch Spezialisten durchgeführt werden, die mit dieser Therapie eine ausreichende Erfahrung haben. Dies sind bei der Therapie entzündlich-rheumatischer Erkrankungen in der Regel internistische Rheumatologen, bei der Therapie des M. Crohn üblicherweise spezialisierte Gastroenterologen.

 

Unter der Therapie werden im Rahmen des Sicherheitsmonitorings regelmäßige Kontrolluntersuchungen durchgeführt, deren Art und Umfang sich u.a. nach dem Behandlungszeitpunkt (z.B. Therapieeinleitung, stabile laufende Therapie), der genauen Diagnose, der Art und Schwere der Erkrankung sowie möglichen Begleiterkrankungen richten.

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