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Fragen und Antworten

Eine Frage von Renate:

Obwohl ich Remicade sehr gut vertrage, bin ich jetzt doch ein wenig ängstlich. Ich habe mit meinem Arzt gesprochen und er meinte, wir hätten keinen Grund, Remicade abzusetzen. Auf welche Symptome muss man jetzt achten? Bekommt man durch Remicade leichter TB oder löst es die Krankheit aus? Ich habe täglich mit vielen Menschen Kontakt, was ja wahrscheinlich das Risiko erhöht. Wie äußern sich Herzprobleme und wann kann man überhaupt die Remicade/MTX Therapie beenden? Ich hatte vor einigen Wochen eine Lymphdrüsenentzündung und die Laborwerte waren erhöht, dass wir eine Medikamentenpause einlegen mussten. Nach drei Wochen habe ich dann aber einen starken Schub bekommen und habe auch jetzt noch Schwellungen und Schmerzen in einigen Gelenken. Die Krankheit scheint also noch ziemlich aktiv zu sein. Ich finde es einfach super, dass Sie die Fragen der beunruhigten Remicade-Patienten beantworten. Danke Renate

Die Antwort gibt Priv. Doz. Dr. med. H.E. Langer, 18.09.2002:

1. Auf welche Symptome muss man jetzt achten?

 

Von den meisten Patienten wird Remicade sehr gut vertragen. Allerdings kann es wie bei jedem hochwirksamen Medikament auch zu möglichen Nebenwirkungen kommen. Dabei sind vor allem Infektionskomplikationen von Bedeutung.

 

Für alle bisher zugelassenen TNF-alpha-Blocker (Infliximab = Remicade; Etanercept = Enbrel) ist eine erhöhte Infektanfälligkeit bekannt, die sich in der Regel in einer etwas erhöhten Rate an normalerweise harmlosen Infekten der oberen Luftwege wie banalen Erkältungen äußert.

 

Schwere Infektionen sind glücklicherweise selten. Allerdings können sie auftreten und sind dann u.U. auch gefährlich, wenn sie nicht rechtzeitig erkannt und behandelt werden. Deshalb sollte man bei allen unklaren Symptomen unter einer Therapie mit TNF-alpha-Blockern mit seinem behandelnden Arzt Kontakt aufnehmen (Tip: mit dem behandelnden Rheumatologen, da er die entsprechende Erfahrung mit der Remicade-Therapie hat und am ehesten beurteilen kann, ob eine kritische Situation vorliegt oder nicht).

 

Damit eine hohe Therapiesicherheit unter einer Remicade-Therapie sichergestellt ist, sollte aus meiner Sicht die Behandlung mit TNF-alpha-Blockern wie Infliximab (Remicade) oder Etanercept (Enbrel) nur durch Spezialisten durchgeführt werden, die mit dieser Therapie eine ausreichende Erfahrung haben. Dies sind in der Regel internistische Rheumatologen. Damit die Therapie auf einem hohen Sicherheitsniveau abläuft, werden regelmäßige Kontrolluntersuchungen durchgeführt, deren Art und Umfang sich u.a. nach dem Behandlungszeitpunkt (z.B. Therapieeinleitung, stabile laufende Therapie), der genauen Diagnose, der Art und Schwere der Erkrankung sowie möglichen Begleiterkrankungen richtet.

 

In der Regel kommt es dann unter einer Remicade-Therapie nicht zu gefährlichen oder gar lebensbedrohlichen Folgen.

 

2. Bekommt man durch Remicade leichter TB oder löst es die Krankheit aus? Ich habe täglich mit vielen Menschen Kontakt, was ja wahrscheinlich das Risiko erhöht.

 

Für Remicade ist ein etwas erhöhtes Tuberkulose-Risiko bekannt. TNF-alpha ist ja im Körper ursprünglich nicht dazu da, um eine rheumatoide Arthritis hervorzurufen, sondern spielt normalerweise eine wichtige Rolle im Rahmen der Immunabwehr. Vermutlich gilt dies besonders auch für Erreger, die sich wie die Tuberkel-Bazillen, d.h. die Erreger der Tuberkulose, in Zellen aufhalten („intrazelluläre Erreger“).

 

Viele von uns haben irgendwann in ihrem Leben bereits einen Kontakt mit Tuberkelbazillen gehabt, zumeist bereits ganz früh in der Kindheit, und u.U. sogar eine ganz milde Tuberkulose durchgemacht, die dann aber vom Immunsystem ausreichend beherrscht wurde. Man erkennt dies oft auf Röntgenaufnahmen der Lunge und nennt solche Veränderungen einen „tuberkulösen Primärkomplex“. Manchmal sind von solchen früheren Auseinandersetzungen mit Tuberkelbazillen oder nach früher durchgemachten Tuberkulosen noch einige Erreger im Körper vorhanden, die aber vom Immunsystem so weit in Schach gehalten werden, dass es nicht zum erneuten Ausbruch einer Krankheit, d.h. einer Tuberkulose, kommt.

 

Wenn nun bei solchen Patienten das Immunsystem „kompromittiert“ wird, d.h. aus unterschiedlichen Gründen nicht mehr wie gewohnt funktioniert, kann es zu einer erneuten Tuberkulose kommen. Man nennt das eine Reaktivierung einer noch latent vorhandenen, d.h. verborgenen Tuberkulose.

 

Beispiele für eine solche Immunkompromittierung sind:

 

· Andere Infektionskrankheiten, die zu einer Schwächung des Immunsystems führen:

Dazu gehört augenblicklich vor allem eine Infektion mit dem AIDS-Erreger HIV. Bei HIV-Patienten ist die Tuberkulose ein ganz wesentliches Problem und eine der Hauptprobleme im Zusammenhang mit der Erkrankung.

· Andere Erkrankungen, die mit einer Schwächung des Immunsystems einhergehen:

Dazu gehören beispielsweise schwere Krebserkrankungen, vor allem auch Leukämien oder sogenannte maligne Lymphome, also bösartige Tumoren des lymphatischen Systems.

Dazu gehören aber auch aus dem Bereich der Rheumatologie und klinischen Immunologie schwere Autoimmunerkrankungen, wie beispielsweise ein schwer verlaufender systemischer Lupus erythematodes oder schwer verlaufende Vaskulitiden.

Nicht unterschätzt werden sollte weiterhin die Immunkomprommittierung durch eine chronische Polyarthritis / rheumatoide Arthritis, vor allem bei den schwer verlaufenden und medikamentös nicht ausreichend kontrollierten Verläufen.

· Medikamentöse Therapien, die die Funktion des Immunsystems beeinträchtigen:

Der Hauptvertreter von solchen Medikamten ist Cortison, insbesondere wenn es in hohen Dosen über einen längeren Zeitraum gegeben wird. Insofern war die Reaktivierung einer Tuberkulose bei der Behandlung von schweren entzündlich-rheumatischen oder immunologischen Systemrekrankungen immer schon ein Problem, das wir Rheumatologen kennen und auf das wir bei der Therapie und den Therapiekontrollen achten, das allerdings in der öffentlichen und veröffentlichten Meinung bislang nicht in dieser Art wie bei einer Behandlung mit Remicade diskutiert wurde.

Weitere Medikamente, die das Immunsystem insbesondere im Bereich der sogenannten zellulären Abwehr schwächen, sind beispielsweise das Immunsuppressivum Azathioprin (z.B. Imurek) oder das Zytostatikum Cyclophosphamid (z.B. Endoxan), nicht zuletzt auch Ciclosporin (z.B. Sandimmun oder Sandimmun optoral).

 

Das Risiko für die Reaktivierung einer Tuberkulose wächst, wenn verschiedene dieser Faktoren zusammenkommen. Dies gilt auch für die Kombination von Medikamenten, z.B. hochdosiert Cortison mit Azathioprin oder Cyclophosphamid.

 

Die Möglichkeit der Reaktivierung einer vorbestehenden Tuberkulose ist der Grund, warum grundsätzlich vor Beginn einer TNF-alpha-blockierenden Therapie ein Test auf eine stattgehabte Tuberkulose durchgeführt werden sollte. Dies ist auch eine der Kernbotschaften aus dem Warnhinweis des Paul-Ehrlich-Instituts.

 

Durch eine solche einfache diagnostische Maßnahme kann das Risiko für eine Tuberkulose-Komplikation unter einer TNF-alpha-Blocker-Therapie ganz erheblich verringert werden.

 

Eine andere Möglichkeit für das Auftreten einer Tuberkulose ist die Neuansteckung. Dieses Risiko hat in den letzten Jahren aus unterschiedlichen Gründen wieder zugenommen.

 

Während früher in Deutschland die meisten Tuberkulosen vom sogenannten „Bovinum-Typ“ waren (von bovis = Ochse) und über die Kuhmilch übertragen wurden, haben die entsprechenden Seuchenbekämpfungsmaßnahmen in der Vergangenheit dazu geführt, dass in unseren „zivilisierten“ Breitengraden die Tuberkulose weitgehend verschwunden war. So wurden durch gezielte Reihenuntersuchungen die erkrankten Tiere in den Rinderbeständen entdeckt; durch die Pasteurisierung der Milch wurden die Tuberkel in der Milch abgetötet; durch Röntgenreihenuntersuchungen der Bevölkerung wurden Tuberkulosekranke ermittelt, die u.U. gar nichts von ihrer Erkrankung wussten und unbehandelt die Personen, mit denen sie in Kontakt kamen, gefährdeten.

 

Milchseitig erhöhte sich das Risiko dann in der Folge wieder insofern etwas, als durch den Biotrend immer häufiger die Milch wieder direkt auf dem Bauernhof gekauft wurde und damit nicht pasteurisiert war. Mir ist nicht bekannt, in welchem Umfang von solchen Konsumenten die traditionellen Maßnahmen wie Abkochen der Milch durchgeführt wurden.

 

Die Hauptursache für die steigenden Tuberkulose-Neuerkrankungen in Deutschland und allgemein auch in den übrigen, bislang fast tuberkulosefreien Ländern ist zum einen das Auftreten von HIV und AIDS, zum anderen die Öffnung von Europa nach Osten. Damit einher geht eine Verschiebung der Tuberkulose-Erreger vom Bovinum-Typ auf den sogenannten „Humanum-Typ“, also den vor allem durch Menschen übertragenen Typ, weiterhin auch auf sogenannte „atypische“ Tuberkuloseerreger.

 

Auf die erhöhte Tuberkuloserate bei HIV- und AIDS-Patienten wurde oben schon eingegangen. Die Tuberkulosen bei HIV und AIDS sind zum einen „typische“ Tuberkulosen, oft allerdings auch Tuberkulosen mit sogenannten atypischen Erregern.

 

An solche atypischen Tuberkulosen sollte auch bei Patienten unter einer TNF-alpha-blockierenden Therapie gedacht werden, wenn bei Ihnen unklare Symptome auftreten, die man zunächst nicht ganz gut zuordnen kann.

 

Die Öffnung von Europa nach Osten hat zu einer sehr umfangreichen Migration und zu stark erhöhten Kontakten der Menschen in Deutschland und dem übrigen westlichen Europa mit der Bevölkerung aus dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion geführt. In den dortigen Ländern hat der Zusammenbruch der Wirtschaft, die unglaubliche Armut und der weitgehende Zusammenbruch des bisherigen Gesundheitssystems dazu geführt, dass mittlerweile vor allem Russland zu den Ländern mit der höchsten Tuberkuloserate in der Welt gehört. Ein zusätzliches Problem besteht darin, dass die manifesten Tuberkulosen dort nicht in der notwendigen Konsequenz und ausreichend lange behandelt werden, so dass sich gerade in Russland mittlerweile Tuberkelstämme entwickelt haben, die auf eine Behandlung mit den üblichen Tuberkulostatika (Antibiotika speziell gegen Tuberkulose) nicht mehr ansprechen (sogenannte multiresistente Stämme).

 

Ein erhöhtes Ansteckungsrisiko für Tuberkulose liegt aus den genannten Gründen vor allem bei Personen vor, die im privaten Bereich oder im Zusammenhang mit Ihrer beruflichen Tätigkeit häufig in Kontakt mit den oben genannten Personengruppen kommen.

Für alle übrigen Menschen ist das Ansteckungsrisiko nicht in einem relevanten Maß erhöht. Für mich wäre allerdings selbst ein etwas erhöhtes Ansteckungsrisiko für Tuberkulose allein kein triftiger Grund, grundsätzlich von einer TNF-alpha-blockierenden Therapie abzusehen oder abzuraten. Allerdings würde man den Patienten entsprechende Vorsichtsmaßnahmen nahe legen.

 

Außerdem sollte man im Zweifelsfall bei den Kontrollen im Rahmen der Therapieüberwachung ein besonderes Augenmerk auch auf die Möglichkeit einer Tuberkulose richten und bei allen unklaren Symptomen lieber einmal zu viel als einmal zu wenig an die Möglichkeit einer Tuberkulose denken.

 

Ein wichtiger Hinweis ist im Zusammenhang mit Tuberkulosen unter einer Therapie mit TNF-alpha-blockierenden Substanzen außerdem die Beobachtung, dass eine Tuberkulose unter einer solchen Behandlung manchmal anders aussieht oder anderes verläuft, als man es sonst von „üblichen“ Tuberkulosen kennt. So treten manchmal Tuberkulosen an anderen Stellen als im Bereich der Lunge auf; weiterhin kommt es manchmal nicht zu sogenannten lokalisierten, auf ein bestimmtes Organ bezogenen Tuberkulosen wie beispielsweise einer Lungentuberkulose, sondern bereits unmittelbar von Anfang an zu sogenannten „dissiminierten“, verstreuten Tuberkulosen oder auch sogenannten „Miliartuberkulosen“.

 

Aus der Ferne, und ohne dass dies den Charakter einer individuellen Beratung im Einzelfall haben soll, kann und darf, würde die von Ihnen beschriebene Situation für mich aber kein Grund sein, einer Patientin von einer gut wirksamen Therapie mit Remicade abzuraten.

 

3. Wie äußern sich Herzprobleme?

 

Es kann manchmal während der Remicade-Infusion zu erhöhtem Herzschlag kommen, der sich anschließend wieder normalisiert. Patienten, die an einer sogenannten Herzinsuffizienz leiden (das ist eine Herzschwäche mit verminderter Pumpleistung des Herzens), dürfen Remicade nicht bekommen, da unter einer solchen Behandlung diese Herzinsuffizienz u.U. zunehmen kann. Bei Herzgesunden ist nicht bekannt, dass es unter einer Behandlung mit Remicade zu Herzproblemen im Sinne einer Herzinsuffizienz kommt. Anders gesagt, Remicade schlägt bei Herzgesunden nicht auf das Herz und verursacht keine Herzerkrankung / Herzschwäche o.ä..

 

4. Wann kann man überhaupt die Remicade/MTX Therapie beenden?

 

Remicade ist wie Methotrexat (Mtx) ein Medikament aus der Gruppe der langwirksamen antirheumatischen Substanzen („DMARD’s“ = disease modifying antirheumatic drugs = krankheitsmodifizierende Medikamente). Genauer ist speziell Remicade (als biologisches Medikament aus der Gruppe der TNF-blockierenden Substanzen) eines der Medikamente, für die kürzlich eine ganz neue Medikamentenklasse definiert wurde, nämlich die neu eingeführte Kategorie der krankheitskontrollierenden Substanzen („DCARD’s“ = disease controlling antirheumatic drugs = krankheitskontrollierende Substanzen). Diese Substanzen zeichnen sich dadurch aus, dass sie nicht nur die Symptome der Erkrankung lindern, sondern die Krankheit quasi „einfrieren“ und im günstigsten Fall zu einer sogenannten Remission führen, d.h. zu der Einleitung eines Heilungsprozesses.

 

Normalerweise wird Remicade deshalb nicht nur für einen kurzen Zeitraum gegeben, sondern länger. Die Erfahrung ist, dass die ursprüngliche Krankheitsaktivität wiederkommt, wenn man Remicade zu früh absetzt. Wenn man unter Remicade keine relevanten Nebenwirkungen bekommen hat, sollte deshalb eine gut laufende Therapie konsequent und kontinuierlich fortgeführt werden.

 

Eine andere Frage ist, ab wann man nach Eintritt einer sogenannten kompletten Remission (völliges Verschwinden der Krankheitsaktivität, keine Beschwerden oder Symptome mehr, vollständige Normalisierung der Entzündungswerte im Blut, wie z.B. von Blutsenkung = BSG und c-reaktivem Protein = CRP) über ein Absetzen der Remicade-Therapie nachdenken kann.

 

Nach meiner Erfahrung sollte man die Modifikation gerade einer gut wirksamen langwirksamen antirheumatischen und krankheitskontrollierenden Therapie erst dann in Betracht ziehen, wenn eine solche komplette Remission über einen ausreichend langen Zeitraum besteht.

 

Was man als ausreichend lange anzusehen hat, ist extrem schwierig zu entscheiden. Vernünftige Daten aus wissenschaftlichen Studien gibt es dazu noch nicht. Ich selber spreche mit meinen Patienten mit einer kompletten Remission einer chronischen Polyarthritis / rheumatoiden Arthritis erst dann über eine Änderung der laufenden „Basistherapie“, wenn die Remission je nach Ausgangsbefund, vorheriger Krankheitsaktivität, sonstiger Begleitumstände etc. für mindestens 6-12 Monate stabil war.

 

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