Sie sind hier: rheuma-online » Archiv » Fragen und Antworten

Fragen und Antworten

Eine Frage von Charlotte H.:

Ich werde (noch) nicht mit TNF-alpha-Blockern behandelt, würde mich aber für diese Behandlungsform sehr interessieren. Mein Arzt meint, die Therapie mit 1x wöchentlich Mtx 20 mg wäre derzeit ausreichend.

 

Erst wenn diese Therapie nicht mehr anschlage bzw. zu große Nebenwirkungen zeige, könnte man an TNF-alpha-Blocker denken, da das Medikament zu teuer sei. Ist das so richtig?

 

Wie krank muß man sein, um an diese Medikamente zu kommen? Ich bin als Beamtin privat versichert und bekomme Beihilfe. Besteht bei den privaten Versicherungen (in meinem Fall Debeka) eher die Möglichkeit der Kostenübernahme, als bei den gesetzlichen?

Die Antwort gibt Priv. Doz. Dr. med. H.E. Langer, 14.02.2005:

Für den Einsatz von TNF-alpha-Blockern bei der Therapie einer rheumatoiden Arthritis (chronischen Polyarthritis) gilt in Deutschland die Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie, nach der diese Substanzen erst zum Einsatz kommen sollten, wenn zuvor eine Therapie mit mindestens zwei traditionellen langwirksamen Antirheumatika (nacheinander oder in Kombination) nicht oder nicht ausreichend wirksam war. Dabei sollte ein Therapieversuch mit Methotrexat eingeschlossen sein. Die Methotrexat-Therapie sollte dabei über einen ausreichend langen Zeitraum (aus meiner Sicht mindestens 3 Monate, andere Rheumatologen setzen hier einen Mindestzeitraum von 6 Monaten an) und in einer ausreichend hohen Dosierung (hier ebenfalls aus meiner Sicht mindestens 15 mg pro Woche parenteral, d.h. in Spritzenform, dies entspricht der an anderer Stelle angegebenen Mindestdosis von 25 mg/ Woche oral, d.h. in Tablettenform) durchgeführt worden sein.

Internationale Leitlinien weichen von dieser Empfehlung ab. So ist danach der Einsatz von TNF-alpha-Blockern bereits nach Versagen von einem konventionellen langwirksamen Antirheumatikum (DMARD, disease modifying antirheumatic drug, krankheitsmodifizierendes Medikament) möglich. Nach dem therapeutischen Algorithmus des ACR (American College of Rheumatology, wissenschaftliche Fachgesellschaft der US-amerikanischen Rheumatologen), ist bei schweren, hochaktiven, prognostisch ungünstigen Verläufen einer rheumatoiden Arthritis sogar der Primäreinsatz eines TNF-alpha-Blockers möglich. In den USA liegt für Etanercept (Enbrel) auch eine entsprechende Zulassung für den Einsatz bei der frühen rheumatoiden Arthritis vor, d.h. die Anwendung als erste krankheitsmodifizierende und krankheitskontrollierende Substanz bereits vor der Verabreichung konventioneller DMARDs.

Für Patienten der privaten Krankenversicherung gilt nach einem höchstrichterlichen Grundsatzurteil das Wirtschaftlichkeitsgebot der gesetzlichen Krankenversicherung nicht. Privat Krankenversicherte haben den vertraglich gesicherten Anspruch, der im Zweifelsfall auch gerichtlich einklagbar ist, auf dem aktuellen Stand der medizinischen Kenntnis und Erkenntnis behandelt zu werden. Zu diesem Kenntnisstand gehört in der Rheumatologie, daß die Therapie mit TNF-alpha-Blockern bei Patienten mit einer hochaktiven, schwerverlaufenden rheumatoiden Arthritis der Therapie mit konventionellen langwirksamen Antirheumatika mit Abstand überlegen ist.

Im Einzelfall halte ich, auch in Übereinstimmung mit der wissenschaftlichen Literatur, den primären Einsatz von TNF-alpha-Blockern oder die Anwendung als second-line-drug, d.h. nach Wirkversagen oder unzureichender Wirksamkeit eines konventionellen langwirksamen Antirheumatikums für gerechtfertigt.

Viele Patienten mit einer rheumatoiden Arthritis sprechen aber gerade in der Frühphase der Erkrankung auf die bewährten Substanzen, insbesondere Methotrexat, gut an. Deshalb behandele ich persönlich im Regelfall einen Patienten erst dann mit einem TNF-alpha-Blocker, wenn zuvor ein Therapieversuch mit Methotrexat unternommen wurde. Wenn dieser zu einem teilweisen, aber nicht ausreichenden therapeutischen Ansprechen führt, modifiziere ich nach einem Therapiezeitraum von 3 Monaten diese Mtx-Therapie durch die Ergänzung um andere langwirksame Antirheumatika im Sinne einer langwirksamen antirheumatischen Kombinationstherapie. Dabei sind durch Studien gesicherte Kombinationen die Kombinationen von Methotrexat und Leflunomid (Arava) (eine von mir selber sehr bevorzugte Kombination), die Kombination von Methotrexat mit Sulfasalazin (z.B. Azulfidine RA) und Chloroquin (z.B. Resochin) oder Hydroxychloroquin (z.B. Quensyl) (diese Kombination bietet sich im übrigen immer dann besonders an, wenn primär eine langwirksame antirheumatische Therapie mit Sulfasalazin erfolgte und diese nicht ausreichend wirksam war), oder die Kombination von Methotrexat mit Ciclosporin (z.B. Immunosporin).

Wenn es unter einer dieser Kombinationen innerhalb von 6 Monaten nicht zu einem befriedigenden therapeutischen Ansprechen kommt, ist die Indikation zum Einsatz von TNF-alpha-Blockern gegeben. Der geschilderte Algorithmus hat dabei den Vorteil, daß danach zu diesem Zeitpunkt selbst nach den vergleichsweise restriktiven Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie die Voraussetzungen für den Einsatz von TNF-alpha-Blockern erfüllt sind. Der Zeitraum von 6 Monaten ist dabei so kurz, daß nicht unverantwortlich lange mit dem Beginn einer hochwirksamen Therapie gewartet wurde und nicht unwiederbringliche therapeutische Chancen vertan wurden.

Gerade von Kostenträgerseite wird oft darauf hingewiesen, daß die Therapie mit TNF-alpha-Blockern im Hinblick auf die Verträglichkeit und Therapiesicherheit der Therapie mit konventionellen langwirksamen Antirheumatika unterlegen sei. Alle dazu vorliegenden Studien zeigen aber das Gegenteil. So zeigt beispielsweise eine aktuelle Studie aus Norwegen, über die wir im TNF-Ticker auch berichtet haben (Kvien et al. 2003), daß die Abbruchrate wegen Nebenwirkungen bei einer TNF-alpha-Blocker-Therapie deutlich niedriger ist als unter einer Therapie mit konventionellen langwirksamen Antirheumatika. Langzeitbeobachtungen belegen für die Therapie mit Etanercept (Enbrel), daß die Sterblichkeitsrate für die Enbrel-Patienten im Vergleich zu konventionell behandelten Patienten deutlich niedriger ist, und dies, obwohl die mit Enbrel behandelten Patienten anfangs eine höhere Krankheitsaktivität aufwiesen und schwerere, prognostisch ungünstigere Krankheitsverläufe vorlagen. Auch über diese Studie haben wir bereits vor längerem berichtet (ACR 2002, New Orleans, Moreland et al., Abstr. 1424).

Per E-Mail können, woollen und dürfen wir keine Empfehlungen und Ratschläge zu einer individuellen Diagnostik und Therapie geben. Allgemein kann man jedoch sagen, daß eine rheumatoide Arthritis als gut und ausreichend kontrolliert bewertet werden kann, wenn die Werte im DAS28 unterhalb des Schwellenwertes von 3.2, optimalerweise sogar unterhalb von 2.6 liegen („grüner“ bzw. „tiefgrüner“ Bereich des DAS28). Wenn die DAS-Werte bei regelmäßig aufeinanderfolgenden Kontrollen, beispielsweise im Abstand von jeweils 3 Monaten, immer in diesem Bereich liegen, ist nach derzeitigem Kenntnisstand ein Fortschreiten im Röntgenbild nicht zu erwarten oder zumindestens sehr unwahrscheinlich. Allerdings sollten sicherheitshalber auch in einer solchen Situation etwa jährlich Röntgenaufnahmen von Händen und Füßen durchgeführt werden, um den Stillstand der sogenannten Röntgenprogression, d.h. den Stop der im Röntgenbild sichtbaren entzündlichen Veränderungen, auch wirklich zu dokumentieren und zu belegen.

Problematisch erscheint mir aus der Ferne ein HAQ von 1.375, der angesichts einer Krankheitsdauer von nur etwas mehr als einem Jahr für eine vergleichsweise hohe Einschränkung der funktionellen Kapazität spricht. Unter einer gut wirksamen und effektiven antirheumatischen Therapie sollte dieser Wert bei einer so kurzen Krankheitsdauer deutlich unter 1.0 liegen, optimalerweise bei 0 oder bei 0,5. Wir wissen, daß die Prognose einer rheumatoiden Arthritis / chronischen Polyarthritis gerade auch im Hinblick auf den Langzeitverlauf sehr entscheidend vom Umfang der funktionellen Einschränkung abhängt, d.h. Patienten mit hohen HAQ-Werten haben auch langfristig eine deutlich schlechtere Prognose als Patienten mit niedrigen oder sogar normalen Werten im HAQ.

Selbstverständlich ist es für mich nicht möglich, Ihre Befunde von hier aus zu bewerten. Sie sollten aber Ihre Ergebnisse im HAQ vielleicht noch einmal überprüfen und, wenn sie sich bestätigen, mit Ihrem behandelnden Rheumatologen darüber sprechen, da in einem solchen Fall doch einiges dafür spricht, daß die laufende Therapie gerade im Hinblick auf die Funktionskapazität vielleicht doch noch etwas optimiert werden sollte.

Literatur:

American College of Rheumatology Subcommittee on Rheumatoid Arthritis Guidelines
Guidelines for the Management of Rheumatoid Arthritis - 2002 Update
Arthritis Rheum, Vol. 46, No. 2, February 2002, pp 328–346
http://www.rheumatology.org/publications/guidelines/raguidelines02.pdf

Kvien K, Mikkelsen K, Nordvåg B, Kaufmann C, Rødevand E. Mowinckel P.
Effectiveness of DMARD regimens: A comparison of 1174 prescriptions in patients with inflammatory arthropathies.
Annual European Congress of Rheumatology (EULAR 2003), Lissabon, 18. – 21. Juni 2003, Ann Rheum Dis 62 (Suppl 1): 98 (Abstr. OP0106)

Moreland et al., ACR 2002, New Orleans, Abstr. 1424

 

Copyright © 1997-2024 rheuma-online
rheuma-online Österreich
 
Alle Texte und Beiträge in rheuma-online wurden nach bestem Wissen und Gewissen erstellt. Irrtümer sind jedoch vorbehalten. Alle Angaben sind ohne Gewähr. Jegliche Haftungsansprüche, insbesondere auch solche, die sich aus den Angaben zu Krankheitsbildern, Diagnosen und Therapien ergeben könnten, sind ausgeschlossen.