Progressive multifokale Leukenzephalopathie

Progressive multifokale Leukoenzephalopathie (PML, von progressiv = fortschreitend, multifokal = an verschiedenen Orten ("foci") lokalisiert, Leuko = weiße (Hirnsubstanz), enzephalo = Gehirn, -pathie =? Erkrankung) ist eine sehr  seltene, fortschreitende Erkrankung der Gehirns, d.h. des sogenannten zentralen Nervensystems (ZNS), bei der es zu einer Entmarkung ("Demyelisierung") des Gehirns kommt. Wenn sich eine PML manifestiert, nimmt sie in den meisten Fällen einen tödlichen Ausgang, im "günstigsten" Fall führt sie zu schweren Behinderungen.

Die Erkrankung wird durch das JC-Virus verursacht. Die Bezeichnung JC-Virus geht auf die Initialen des ersten Patienten zurück, bei dem die Erkrankung erstmals entdeckt bzw. bei dem das Virus erstmals isoliert wurde (Padgett et al. 1971).

Die Infektion mit dem JC-Virus führt üblicherweise nicht zu einer Erkrankung; so findet sich das Virus bei etwa 40-80% aller gesunden Erwachsenen, ohne das es zu Krankheitszeichen kommt (sogenannte "latente", verborgene Infektion).

Zum Krankheitsbild der PML, d.h. einer progressiven multifokalen Enzephalopathie mit fortschreitender Demyelinisierung (Entmarkung) der weißen Hirnsubstanz kommt es durch eine Aktivierung des JC-Virus.

Offensichtlich spielt bei dieser Aktivierung eines zuvor latent vorhandenen JC-Virus eine Abwehrschwäche, d.h. eine Immunsuppression, eine wichtige Rolle.

Diese Immunsuppression kann auf eine Erkrankung zurückgehen, z.B. eine Infektion mit dem AIDS-Virus HIV, auf eine Autoimmunerkrankung oder auch auf eine schwere Krebserkrankung. Eine weitere Ursache für eine Abwehrschwäche kann eine Therapie mit Immunsuppressiva sein, d.h. solchen Medikamenten, die die Immunabwehr schwächen oder beeinträchtigen.

Oft kommen mehrere Faktoren zusammen, beispielsweise eine Autoimmunerkrankung und zur Behandlung notwendige Therapie.

Letztendlich ist derzeit aber noch nicht geklärt, warum es bei den allermeisten  Patienten mit schweren Autoimmunerkrankungen und selbst eingreifenden immunsuppressiven Therapien nicht zu einer Aktivierung eines JC-Virus kommt und warum sich in wenigen Einzelfällen aus der latenten Infektion das schwere Krankheitsbild einer PML entwickelt.

Symptome einer beginnenden PML können sein: Sehstörungen bis hin zur Erblindung, Bewegungsstörungen ("motorische Dysfunktion"), kognitive Beeinträchtigungen, d.h. Störungen der Merkfähigkeit, Konzentrationsstörungen, Denkstörungen etc., Verhaltensänderungen, dabei allgemeine Unbeholfenheit, zunehmende Schwäche, Lähmungserscheinungen und andere Symptome, die einem Schlaganfall ähneln.

Das Problem ist, daß eine Gehirnbeteiligung bei immunologischen Systemerkrankungen, z.B. im Rahmen einer sogenannten cerebralen Vaskulitis bei Lupus-Patienten, ganz ähnliche Symptome aufweist und daher zunächst unter der naheliegenderen Vermutung eines Krankheitsschubes die medikamentöse Immunsuppression intensiviert wird mit der Folge, daß dies das Fortschreiten der PML regelrecht begünstigt und beschleunigt.

Die Diagnose einer PML erfolgt durch eine differenzierte neurologische Untersuchung, Schädel-MRT (Magnet-Resonanz-Tomographie, "Kernspin"-Untersuchung des Gehirns) sowie Lumbalpunktion mit PCR-Untersuchung des Liquors, d.h. der Gehirn- und Rückenmarksflüssigkeit, auf JC-Virus-DNA.

Gegenwärtig weiß man nicht, wie man bei Patienten mit beispielsweise einer HIV-Infektion, bei immunsupprimierten Krebspatienten,  Transplantationspatienten oder bei Patienten mit Autoimmunerkrankungen die Entwicklung einer PML zuverlässig verhindern kann. Ebenso gibt es im Augenblick keine etablierten Therapiekonzepte, mit der eine manifeste PML-Erkrankung wirksam behandelt werden kann.

Im Zusammenhang mit einer immunsuppressiven Behandlung von entzündlich-rheumatischen oder immunologischen Systemerkrankungen sind PML-Erkrankungen insbesondere bei der immunsuppressiven Therapie von Patienten mit systemischem Lupus erythematodes (SLE) beschrieben worden, speziell mit Azathioprin plus Prednisolon, Chlorambucil plus Methylprednisolon, Rituximab sowie Mycophenolat Mofetil.

Insofern war man bislang davon ausgegangen, daß unter den entzündlich-rheumatischen und immunologischen Systemerkrankungen bei SLE ein spezifisches Risiko hinsichtlich einer PML besteht.

Ein PML-Fall ist für die Rituximab-Therapie einer ANCA-assoziierten Vaskulitis berichtet, drei PML-Fälle (Stand November 2009) für die Rituximab-Therapie einer rheumatoiden Arthritis (bei mehr als 100.000 mit Rituximab behandelten RA-Patienten).

Anmerkung: Bei der Therapie eines SLE oder einer ANCA-assoziierten Vaskulitis mit Rituximab handelt es sich um eine offizielle nicht zugelassene Therapie ("off-label-use"). 

Literatur:

SLE unter Rituximab und Mycophenolat mofetil (CellCept)
FDA Safety Alert, April 10, 2008

Molloy ES, Calabrese LH: Progressive multifocal leukoencephalopathy in patients with rheumatic diseases: are patients with systemic lupus erythematosus at particular risk? Autoimmun Rev. 2008 Dec;8(2):144-6 (abstract)

Kneitz C, Wiendl H: Progressive multifokale Leukoencephalopathie bei rheumatischen Erkrankungen. Z Rheumatol. 2008 Jul;67(4):290, 292-4.

Weitere Informationen und verwandte Links:

Geringes Risiko, aber schwere Folgen: Rote-Hand-Brief zu MabThera® (Rituximab).  rheuma-online-news vom 22.11.2009

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