Prednison MR (Lodotra®) im Detail

Für alle, die mehr wissen möchten.
Abb.: TEMPUS-Tablette. Bildnachweis: Merck-Serono GmbH, Darmstadt

Cortison wird in Medikamentenform (als Glukocorticoid) seit über 50 Jahren in der Therapie entzündlich-rheumatischer und immunologischer Erkrankungen eingesetzt. Der Vorteil von Cortison: Es ist der stärkste Entzündungshemmer, den wir kennen. Es wirkt sehr schnell, ein Wirkungseintritt ist in der Regel bereits nach wenigen Stunden zu verspüren. Nach neuen Erkenntnissen hemmt Cortison zudem in der Kombination mit krankheitsmodifizierenden Substanzen (DMARDs, disease modifying antirheumatic drugs) bei der rheumatoiden Arthritis das Fortschreiten der entzündlichen Gelenkzerstörung und bremst damit die sogenannte Röntgenprogression.

Der prinzipielle Nachteil von Cortison: Es ist als Cortisol ein Hormon, d.h. ein körpereigener Wirkstoff, und unterliegt sogenannten circadianen Rhythmen. Dies bedeutet, daß die Cortisonproduktion im Körper in den frühen Morgenstunden am höchsten ist und in den späten Nachmittagsstunden ihren Tiefstwert erreicht. Gesteuert wird dieser Rhythmus durch einen Regelkreis, der so ähnlich funktioniert wie ein Thermostat bei einer Heizung: Sinkt der Cortisonspiegel im Blut ab, führen Signale aus spezialisierten Gehirnregionen (Hypothalamus und Hypophyse) zur Steigerung der Cortisonproduktion in der Nebenniere (einer Drüse, die so heißt, weil sie neben der Niere liegt, mit der Niere selber ansonsten aber nichts zu tun hat). Durch die medikamentöse Zufuhr von Cortison kann dieser Regelkreis gestört werden. In der Folge können sich unerwünschte Wirkungen entwickeln, insbesondere dann, wenn die Cortisoneinnahme am späten Nachmittag oder abends erfolgt.
Bei vielen entzündlich-rheumatischen Erkrankungen wären die frühen Morgenstunden, d.h. gegen 2:00h nachts, der optimale Zeitpunkt für eine Cortisoneinnahme. Dieses Timing greift zum einen am geringsten in den körpereigenen Cortisonregelkreis ein, zum anderen erfolgt die Cortisongabe damit auch zu einem Zeitpunkt, an dem die Entzündungshemmung am gezieltesten ansetzt.

Wie man seit einiger Zeit weiß, steigt die Konzentration von pro-inflammatorischen Zytokinen, d.h. körpereigenen Entzündungsstoffen wie Interleukin-6 (IL-6), im Blut mitten in der Nacht an und erreicht ihren höchsten Wert in den Morgenstunden. Dieser Mechanismus ist vermutlich die Erklärung für die typische Tagesrhythmik entzündlich-rheumatischer Symptome mit der charakteristischen Zunahme der Schmerzen in der Nacht und am Morgen, der stärkeren Ausprägung von Gelenkschwellungen ebenfalls am Morgen sowie der Morgensteifigkeit.

Um die Cortisongabe möglichst zeitnah an die Zunahme der nächtlichen und morgendlichen Symptome zu plazieren, wurden in der Vergangenheit unterschiedliche Strategien entwickelt. Am bekanntesten ist die Aufteilung der Cortisondosis auf einen morgendlichen und einen abendlichen Anteil. Damit wird eine gewisse Wirkung in der Nacht erreicht, allerdings mit der möglichen Folge, daß der Cortisonregelkreis gestört wird. Berliner Forscher der Charité kamen auf die Idee, Patienten, die dort wegen einer rheumatoiden Arthritis stationär behandelt wurden, nachts um 02:00h aufzuwecken und ihnen die gesamte Cortisontagesdosis zu diesem Zeitpunkt zu verabreichen. Im Ergebnis führte dies zu einer deutlich besseren Cortisonwirkung.
Außerhalb eines Krankenhausaufenthaltes ist eine solche Strategie aber in der Regel nur schwer umzusetzen. Sich Nacht für Nacht den Wecker für die Tabletteneinnahme stellen zu müssen, würde die Lebensqualität nachhaltig verschlechtern.

Wissenschaftler des deutschen Arzneimittelherstellers Merck in Darmstadt, dem Unternehmen, das bereits Jahrzehnte vorher das Glukocorticoid Prednison in den deutschen Markt eingeführt hatte, ließ die Idee einer zeitoptimierten Cortisontherapie allerdings nicht los. Sie entwickelten zusammen mit spezialisierten Partnern ein Verfahren zur zeitversetzten Wirkung von Cortison, indem sie den Wirkstoff Prednison mit einem Mantel umgaben, der sich im Magen nach einer definierten Zeitspanne öffnet und das Cortison auf diese Weise Stunden nach der Tabletteneinnahme freigibt. Durch die neuartige, spezielle „Verpackung“ kann eine Prednisonwirkung zum optimalen Wirkzeitpunkt mitten in der Nacht erreicht werden.

Das entsprechende Medikament nannten sie Prednison MR. Der Namenszusatz MR steht für die englische Bezeichnung „modified release“ und bedeutet veränderte Freisetzung. Prednison MR hemmt die Entzündung genau dann, wenn sie entsteht, und verringert so insbesondere die morgendlichen Beschwerden der Patienten. Als neues Glucocorticoidpräparat für die Therapie der rheumatoiden Arthritis wurde es im Frühjahr 2009 von der europäischen Zulasungsbehörde EMEA in Deutschland zugelassen. Unter dem Handelsnamen Lodotra® steht die Substanz seit dem 15. April 2009 auf dem deutschen Markt zur Verfügung.

Die Zulassung bezieht sich auf die Behandlung der mäßig bis schwer aktiven rheumatoiden Arthritis bei Erwachsenen, insbesondere wenn diese von schwerer Morgensteifigkeit begleitet ist.

Abbildung: Tagesrhythmik des entzündungsverstärkenden körpereigenen Botenstoffs Interleukin-6 (IL-6) mit steilem Anstieg in den frühen Morgenstunden und Abfall im Laufe des Tages und Wirkspiegel von Cortison (Prednison) in der herkömmlichen und in der neuen Formulierung. Durch die zeitgenaue Freisetzung des MR-Prednisons (Lodotra) kann bei einer Einnahme gegen 22:00h ein optimaler Wirkspiegel gegen 4:00-6:00h und damit zum Zeitpunkt der stärksten Entzündungsaktivität erzielt werden. Graphik: Merck Serono GmbH, Darmstadt


Praktisch funktioniert die Therapie mit Prednison MR folgendermaßen: Nach abendlicher Einnahme der Tablette bleibt der Wirkstoffkern zunächst umschlossen. Erst rund vier Stunden nach der Einnahme öffnet sich die Hülle durch Kontakt mit der Flüssigkeit des Magen-Darm-Trakts, und das Prednison wird auf einen Schlag freigesetzt. Wird die Tablette gegen 22 Uhr eingenommen, bedeutet das eine Wirkstoff-Freisetzung gegen zwei Uhr nachts. Durch diese innovative Technologie der schlagartigen Wirkstoff-Freisetzung unterscheidet sich Prednison MR von Retardpräparaten (von Retardierung = Verlangsamung), bei denen die Wirkstoff-Freisetzung sofort mit der Einnahme beginnt, in der Folge dann aber eine verzögerte Freigabe der Substanz erfolgt und das Medikament über Stunden hinweg allmählich wirkt.

Erhältlich sind Prednison-MR-Tabletten in den Wirkstärken 5 mg, 2 mg und 1 mg, so daß fein abgestufte Dosierungen möglich sind. Dies ist neben der individuell abgestimmten Einstellung der Dosis insbesondere auch bei Dosisreduktionen und in der Ausschleichphase einer Cortisontherapie von Bedeutung.

Abbildung: Die neue Technologie der zeitversetzten Wirkstoffreisetzung mit Hilfe der TEMPUS-Tablette. Die eigentliche Wirksubstanz wird mit inaktiven, selber therapeutisch nicht wirksamen Hilfsstoffen ummantelt. Durch den Kontakt mit der Flüssigkeit im Magen-Darmtrakt erfolgt dann das Aufspringen des Mantels nach einer definierten Zeit, im Fall von Prednison MR nach 4 Stunden, und der Wirkstoff wird schlagartig aus der Tablette freigesetzt. Graphik: Merck Serono GmbH, Darmstadt


Die Wirksamkeit und Verträglichkeit von Prednison MR wurde in zwei doppelblinden, randomisierten klinischen Multicenter-Studien (CAPRA-1 und CAPRA-2) untersucht. Beide Studien zeigten eine Überlegenheit von Prednison MR gegenüber dem traditionellen Prednison bzw. gegenüber Placebo.
CAPRA-1 verglich MR-Prednison mit herkömmlichem Prednison in einem doppelblinden Design über 3 Monate; in einer anschließenden offenen Phase erhielten alle Patienten MR-Prednison. Die deutlichste Wirkung der neuen Cortisonformulierung ist eine Verringerung der Morgensteifigkeit (um 22,7% nach 3 Monaten gegenüber 0,4% unter herkömmlichem Prednison, p<0,05; um etwa 50% nach 12 Monaten in der offenen Verlängerungsphase). Prednison MR verringert im Vergleich zu konventionellem Prednison zugleich signifikant die Interleukin-6-Spiegel im Serum (860 vs 1.110 U/L nach 3 Monaten, 470 U/l nach 12 Monaten).

CAPRA-2 prüfte Prednison MR in einer Doppelblindstudie über 3 Monate gegenüber Placebo. Erstmals bei einem Cortisonpräparat wurde dabei als primäres Studienziel die  ACR20-Ansprechrate definiert. Unter Prednison MR wurde ein ACR20-Ansprechen von 49 Prozent der Studienteilnehmer erreicht gegenüber einer ACR20-Ansprechrate von 29 Prozent unter Placebo. Ein signifikanter Unterschied zwischen Prednison MR und Placebo zeigte sich dabei bereits nach 2 Wochen Therapiedauer.

Prednison MR wurde in den klinischen Studien gut vertragen; relevante Unterschiede bei der Verträglichkeit und Therapiesicherheit zeigten sich im Vergleich zu herkömmlichem Prednison nicht.

Weiterführende Informationen:

rheuma-online:

Referenzen

Bijlsma JWH, Jacobs JWG:
Glucocorticoid chronotherapy in rheumatoid arthritis.
The Lancet, Volume 371, Issue 9608, Pages 183 - 184, 19 January 2008

Buttgereit F, Doering G, Schaeffler A, Witte St, Sierakowski St, Gromnica-Ihle E, Jeka S, Krueger K, Szechinski J, Alten R:
Efficacy of modified-release versus standard prednisone to reduce duration of morning stiffness of the joints in rheumatoid arthritis (CAPRA-1): a double-blind, randomised controlled trial
The Lancet, Volume 371, Issue 9608, Pages 205 - 214, 19 January 2008
Abstract:

A Randomized Multi-Center, Double-Blind, Placebo-Controlled Study of a New Modified-Release Tablet Formulation of Prednisone (Lodotra®) in Patients With Rheumatoid Arthritis

Clinical trials.gov:

Abstract: Die Studie ist derzeit noch nicht publiziert
Volltext: Die Studie ist derzeit noch nicht publiziert

Positive phase III results from Capra-2 study of Lodotra™ (single-pulse delayed-release low-dose prednisone) in rheumatoid arthritis
NHS (National electronic Library for Medicines)
Abstract:

Nitec Pharma meldet positive und hochsignifikante Phase-III-Ergebnisse der CAPRA-2-Studie zu Lodotra bei rheumatoider Arthritis

Pressemitteilung Nitec Pharma GmbH vom 2. September 2009

EMEA-Zulassung:

Copyright © 1997-2024 rheuma-online
rheuma-online Österreich
 
Alle Texte und Beiträge in rheuma-online wurden nach bestem Wissen und Gewissen erstellt. Irrtümer sind jedoch vorbehalten. Alle Angaben sind ohne Gewähr. Jegliche Haftungsansprüche, insbesondere auch solche, die sich aus den Angaben zu Krankheitsbildern, Diagnosen und Therapien ergeben könnten, sind ausgeschlossen.