Wie wirkt eine Heistollen-Behandlung?

Die Erythozyten gewinnen normalerweise die Energie für ihren Stoffwechsel aus dem Abbau von Glucose zu Kohlendioxid und Wasser. In dem Augenblick, in dem der Sauerstoff-Partialdruck allerdings auch nur gering vermindert ist, wird die Glukose zum Teil anders verstoffwechselt. Dabei entsteht als Zwischenprodukt vermehrt 2,3-Diphosphoglycerat (DPG). Diese  Substanz hat einen Einfluß auf die Bindung des Sauerstoffs an den roten Blutfarbstoff (Hämoglobin). In Anwesenheit von DPG nimmt die Neigung des Sauerstoffs ab, sich an Hämoglobin zu binden (die sogenannte O2-Affinität des Hämoglobins sinkt). Dadurch kann der Sauerstoff im Gewebe leichter freigesetzt werden. Auf diese Art kommt es zu einer besseren Versorgung des Gewebes mit Sauerstoff.

Man vermutet, daß dieser Effekt die günstigen Stoffwechseleffekte verstärkt, die durch die alpha-Strahlung des Radons im Gewebe ausgelöst werden.

Es ist davon auszugehen, daß durch den Synergismus von Hyperthermie, hoher Luftfeuchtigkeit und Höhenlage mit Radon, d.h. eine sich in ihrer Wirkung positiv ergänzende Kombination von therapeutischen Einzelfaktoren, die besonderen Effekte der Gasteiner Heilstollenbehandlung zu erklären sind.

Die Höhenlage unterstützt die Wirkung der Heilstollenkur. r-o-Foto: Priv. Doz. Dr. med. H.E. Langer

Im Körper selber verbleibt Radon-222 nur kurz. Zwar beträgt die sogenannte  physikalische Halbwertzeit 3,8 Tage. Radon-222 ist aber ein inertes Edelgas, d.h. es laufen mit keinem Bestandteil des Körpers irgendwelche chemischen Reaktionen ab. Deshalb ist die mittlere Verweildauer des Radons im Körper kurz (die sogenannte biologische Halbwertszeit beträgt nur ca. 20-30 Minuten). In dieser Zeit kommt es zu einem Zerfall von etwa 2% der aufgenommenen Radonmenge, d.h. der Anfall an radioaktiven Folgeprodukten, die durch längere Halbwertszeiten unter Strahlungsgesichtspunkten Probleme machen könnten, ist relativ niedrig.

Höhenlage

Der Heilstollen selber liegt 1.280 m über dem Meeresspiegel; die Gasteiner Kurorte wie Bad Gastein, Bad Hofgastein oder Dorfgastein in einer Höhe zwischen 800 und 1500 m über NN.

Bei einem Aufenthalt in dieser Höhenlage spürt man selber in der Regel keine wesentlichen Veränderungen. Auf Stoffwechselebene kommt es aber im Körper durch die geringere Sauerstoffkonzentration in der Atemluft, genauer den etwas geringeren Sauerstoff-Partialdruck, zu einer Veränderung im Stoffwechsel der roten Blutkörperchen (Erythrozyten).

Wirkprinzip einer Heilstollenbehandlung ist die Kombination aus milder Hyperthermie, hoher Luftfeuchtigkeit und Radon-Inhalation. Bildnachweis: Gasteiner Heilstollen.

Die Hyperthermie geht mit einer Zunahme des sogenannten Herzzeitvolumens und der Atemfrequenz einher, insgesamt steigert sich der Stoffwechsel. Auf diese Weise wird das Radon-Gas, das ohnehin in der Stollenluft in hoher Konzentration vorhanden ist, vom Körper besonders effektiv aufgenommen und im Organismus durch die erhöhte Kreislauftätigkeit sehr wirksam verteilt. In Verbindung mit der hohen Luftfeuchtigkeit, die ebenfalls eine erhebliche Anregung des Stoffwechsels bewirkt, wird eine höhere therapeutische Dosis des Radon-Gases erreicht und ein stärkerer und länger anhaltender Behandlungseffekt erzielt.

Radon

Das schwach radioaktive Edelgas Radon ist die vorrangige Wirkkomponente der Gasteiner Heilstollentherapie. In der Luft des Heilstollen ist es mit einer Konzentration von 44kBq/l in einer hohen Dosis vorhanden. Im Stollen wird Radon durch die Atmung über die Lungen und über die Haut aufgenommen.

Die derzeitigen Vorstellungen der Radon-Wirkung gehen dahin, daß es bereits unmittelbar nach der Aufnahme des Gases in den Körper zu einer Aktivierung von Zellmechanismen kommt. Von besonderer Bedeutung für die Therapie von rheumatischen Erkrankungen ist dabei wahrscheinlich die erst kürzlich nachgewiesene Freisetzung des körpereigenen Botenstoffes TGF-beta, einem entzündungshemmenden Zytokins.

Die Stollentemperatur von 37-41° führt in Verbindung mit der hohen Luftfeuchtigkeit von bis zu 100% zu einer milden Hyperthermie, die sich günstig auf eine ganze Reihe von Körperfunktionen auswirkt. Bildnachweis: Gasteiner Heilstollen

Neben der klinischen Forschung konnten in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte in der Grundlagenforschung, speziell beim Verständnis der Wirkungsweise einer Heilstollenbehandlung gemacht werden. So gelang erst kürzlich der Nachweis, daß  die Gasteiner Heilstollentherapie einen günstigen Einfluß auf immunologisch vermittelte Entzündungsprozesse hat.

Hyperthermie

Unter einer Hyperthermie-Therapie versteht man dabei eine Behandlung, bei der die Körpertemperatur auf unterschiedliche Weise deutlich über die normale Körpertemperatur angehoben wird.

Bei der Therapie von rheumatischen Erkrankungen ist die Wärmetherapie bereits als alleiniges Wirkprinzip gut belegt. Ein wesentlicher Effekt ist beispielsweise die Entspannung der Muskulatur und die damit verbundene Schmerzlinderung.

Im Gasteiner Heilstollen beträgt die Temperatur je nach Station zwischen 37° und 41,5° und die Luftfeuchtigkeit zwischen 70-100%. Bei der Heilstollenbehandlung kommt es dadurch zu einer Erwärmung des gesamten Körpers. Die Körperkerntemperatur erhöht sich um 0,5-1° Celsius. Dies entspricht unter medizinischen Gesichtspunkten einer milden Hyperthermie. In der Folge kommt es zu einer Erweiterung der Blutgefäße und zu einer Vermehrung der Durchblutung der Haut, aber auch der Muskulatur und der übrigen Strukturen des Bewegungssystems wie Fascien, Sehnen und Gelenken.

Der Gasteiner Heilstollen befindet sich auf 1.280 m über Meereshöhe in einem historischen Gold-und Silberbergwerkssystem zwischen 1.8 und 1.2 km tief im Gneisgestein der Tauern. Bildnachweis: Gasteiner Heilstollen

Bereits im Jahr 1936 wurde das Forschungsinstitut Gastein gegründet, das die therapeutische Wirkung bei der medizinischen Anwendung von Radon sowie der Wärme und der Höhenluft untersucht. Die Forschungsaktivitäten wurden seit den 50er Jahren durch die Zusammenarbeit mit universitären Einrichtungen, vor allem mit der Universität Innsbruck und der Universität Wien, intensiviert.

Die Wirksamkeit einer Heilstollen-Behandlung ist wissenschaftlich durch eine Reihe von  Studien belegt. Allerdings ist gegenwärtig noch nicht vollständig geklärt, worin der genaue Wirkmechanismus dieser Therapie besteht. Soweit man es heute weiß, sind wesentliche Einflußgrößen die Wärme, die Luftfeuchtigkeit und das im Heilstollen abgestrahlte Radon. Aus medizinischer Sicht handelt es sich damit bei der Gasteiner Heilstollenbehandlung um eine kombinierte Hyperthermie-Radon-Inhalationstherapie mit zusätzlicher Hautbestrahlung bei hoher Luftfeuchtigkeit. Ein ergänzender Effekt ist die Lage des Heilstollens in 1.280 m Höhe. Vermutlich ist es die weltweit einzigartige Kombination mehrerer Faktoren, die die besonderen therapeutischen Effekte der Gasteiner Heilstollen-Behandlung ausmachen.

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