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Rheumatologie

Die Rheumatologie ist die medizinische Spezialdisziplin, die sich mit der Vorbeugung und Früherkennung, Diagnostik und Differentialdiagnostik, Therapie und Rehabilitation rheumatischer Erkrankungen beschäftigt. Der folgende Beitrag formuliert neben der Definition und den Inhalten der Rheumatologie auch Aspekte der Versorgungsepidemiologie. Die Abschnitte behandeln im einzelnen die Themen:

     

  • Zusammenfassung
  • Rheumatologie in Deutschland: Die Entwicklung als eigenständige Disziplin und der besondere deutsche Weg einer Trennung in internistische und orthopädische Rheumatologie
  • Definition der Rheumatologie und Spektrum rheumatischer Erkrankungen
  • Epidemiologie rheumatischer Erkrankungen und Versorgungsbedarf
  • Reale Versorgungssituation von Rheumakranken in Deutschland
  • Folgen der rheumatologischen Unterversorgung

Zusammenfassung

Im internationalen Verständnis ist die Rheumatologie die Medizin des Bewegungssystems. Es sind etwa 400 bis 500 einzelne rheumatische Krankheiten und Syndrome bekannt. Sie unterteilen sich in die drei großen Gruppen der entzündlichen rheumatischen Erkrankungen, der degenerativen Gelenk- und Wirbelsäulenerkrankungen sowie die weichteilrheumatischen Erkrankungen. "Rheuma" gehört zu den häufigsten behandlungsbedürftigen Erkrankungen oder Gesundheitsstörungen in Deutschland. Der Rheumabericht der Bundesregierung von 1997 schätzt, daß etwa ein Drittel aller Frührenten, ein Fünftel der Krankenhaustage und ein hoher Prozentsatz aller Arztbesuche durch rheumatische Erkrankungen begründet sind.

Die Versorgungssituation von Rheumapatienten ist in Deutschland durch erhebliche Defizite im Bereich der fachärztlichen Betreuung durch spezialisierte Rheumatologen gekennzeichnet. Diese rheumatologische Unterversorgung führt nicht nur zu verpaßten therapeutischen Chancen für die Betroffenen, sondern belastet auch das System der sozialen Sicherung mit erheblichen Kosten. Die Verbesserung der rheumatologischen Versorgung ist deshalb nicht nur eine medizinische, menschliche und soziale Aufgabe, sondern auch eine Strukturmaßnahme mit einem bedeutsamen Einsparpotential für das Gesundheitssystem.

Rheumatologie in Deutschland: Die Entwicklung als eigenständige Disziplin und der besondere deutsche Weg einer Trennung in internistische und orthopädische Rheumatologie

In Deutschland hat sich die Rheumatologie in der Vergangenheit zunächst aus der Kurmedizin und Kurortmedizin, später aus spezialisierten rheumatologischen Kurkliniken entwickelt. Erst gegen Ende der 60er Jahre und im Verlauf der 70er Jahre etablierte sich in Deutschland eine wissenschaftliche Rheumatologie an den Universitäten und an außeruniversitären Forschungseinrichtungen.

Dies hat zum einen dazu geführt, daß Deutschland für viele Jahre in der Rheumaforschung im internationalen Vergleich einen erheblichen Nachholbedarf hatte. Gücklicherweise konnte durch intensive Anstrengungen der deutschen Wissenschaftler und umfangreiche Förderprojekte durch die verschiedenen Bundesregierungen dieser Rückstand bis heute völlig aufgeholt werden. Im Gegenteil sind deutsche Wissenschaftler in vielen Bereichen der Rheumaforschung heute unter den führenden Forschergruppen zu finden und arbeiten maßgeblich in internationalen Forschungsprojekten mit.

Zum anderen kam es mit der Einführung der Teilgebietsbezeichung (heute Schwerpunktsbezeichung) "Rheumatologie" in die Facharztweiterbildung zu dem Kuriosum, daß man in Deutschland durch zwei ganz unterschiedliche Weiterbildungen und zwei völlig verschiedene Weiterbildungsinhalte zur Schwerpunktsbezeichung "Rheumatologie" gelangen kann. Im einen Fall erfolgt die Weiterbildung erst für 6 Jahre in Innerer Medizin; nach Facharztanerkennung als Internist folgt dann die nachfolgende Weiterqualifikation in internistischer Rheumatologie. Weiterbildungsinhalte sind schwerpunktmäßig die Diagnostik und Differentialdiagnostik rheumatischer Erkrankungen und ihre "konservative" (d.h. nicht-operative) Therapie. Im anderen Fall wird erst für 4 Jahre eine Weiterbildung in Orthopädie abgeleistet; nach erfolgreicher Facharztprüfung für Orthopädie folgt dann die nachfolgende Weiterqualifikation in orthopädischer Rheumatologie. Weiterbildungsinhalte sind hier schwerpunktmäßig die operative Behandlung mit speziellen rheumachirurgischen Verfahren.

Definition der Rheumatologie und Spektrum rheumatischer Erkrankungen

Auf internationaler Ebene wird die Rheumatologie durch die ILAR (International League against Rheumatism), im europäischen Raum durch die EULAR (European League against Rheumatism) definiert. Gemäß dieser Definitionen ist die Rheumatologie die Medizin des Bewegungssystems. Sie befaßt sich mit den "musculoskeletal disorders", d.h. den muskuloskeletalen Erkrankungen und Syndromen des Bewegungssystems. Im deutschsprachigen Raum haben sich die korrespondierenden Fachgesellschaften (in Deutschland die Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie) dieser Definition der Rheumatologie angeschlossen. International wird sie auch von der WHO und dem American College of Rheumatology (ACR) getragen (Stucki 1998).

Es sind etwa 400 bis 500 einzelne rheumatische Krankheiten und Syndrome bekannt.

Der Rheumabericht der Bundesregierung (1997) unterteilt sie in drei große Gruppen:

Zu den entzündlichen rheumatischen Krankheiten rechnet er insbesondere:

     

  • die chronische Polyarthritis, eine chronisch entzündliche Allgemeinerkrankung des Bewegungsapparates
  • die Spondylitis ankylosans (Bechterew´sche Krankheit), eine meist chronisch-entzündliche Erkrankung vorwiegend der Gelenke der Wirbelsäule, an der häufiger Männer erkranken,
  • das akute rheumatische Fieber und andere postinfektiöse und reaktive Gelenkentzündungen (Arthritiden) sowie
  • die Kollagenosen, eine Gruppe in der Regel schwerer Allgemeinerkrankungen vorwiegend des Bindegewebes mit multiplem Organ- und Gelenkbefall.

Zu den weitaus häufiger auftretenden Erkrankungen mit nicht-entzündlicher, degenerativer Ursache zählen nach diesem Bericht

     

  • die Arthrosen, die durch lokale Veränderungen an Knorpel, Knochen und Bindegewebsteilen verschiedener Gelenke gekennzeichnet sind und die zeitweilig auch reaktiv entzündliche Phasen durchlaufen können, und
  • die Spondylosen, die durch lokale Veränderungen an den Gelenken und den Zwischenwirbelscheiben der Wirbelsäule teilweise mit Beeinträchtigung der aus dem Rückenmark austretenden Nerven charakterisiert sind.

Die weichteilrheumatischen Erkrankungen sind eine z.T. nach ungenau definierte Krankheitsgruppe mit unterschiedlichen Schmerzsyndromen und teilweise vorübergehenden Veränderungen an Muskeln, Sehnen, Schleimbeuteln und Unterhautbindegewebe.

Unter pragmatischen, versorgungsbezogenen Gesichtspunkten unterscheidet die Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie zwischen prognostisch eher günstig verlaufenden rheumatischen Erkrankungen und solchen mit eher ungünstiger Prognose (Memorandum der DGRh, 1994).

Zu den schwerwiegend verlaufenden rheumatischen Krankheiten werden insbesondere folgende Erkrankungen gezählt:

     

  • die entzündlich-rheumatischen Erkrankungen der Gelenke, der Wirbelsäule, des Bindegewebes und der Gefäße (d.h. die Arthritiden, Spondylitiden und Spondylarthritiden, Kollagenosen und Vaskulitiden, Anmerkung des Autors),
  • die (oft stoffwechselbedingten) Polyarthropathien (z.B. sekundäre polyartikuläre Arthrosen) sowie
  • die invalidisierend verlaufenden generalisierten muskuloskeletalen Schmerzsyndrome, wie z.B. die Fibromyalgie.

Epidemiologie rheumatischer Erkrankungen und Versorgungsbedarf

"Rheuma" gehört zu den häufigsten behandlungsbedürftigen Erkrankungen oder Gesundheitsstörungen. Der Rheumabericht der Bundesregierung (1997) schätzt, daß etwa ein Drittel aller Frührenten, ein Fünftel der Krankenhaustage und ein hoher Prozentsatz aller Arztbesuche durch rheumatische Erkrankungen begründet sind. Bezieht man alle auf das Bewegungssystem bezogenen Beschwerden ein, so leiden nach Zahlen der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie (Memorandum 1994) in Deutschland zu jedem Zeitpunkt wenigstens 50% aller erwachsenen Einwohner an "rheumatischen Beschwerden". Dabei handelt es sich meistens um Rückenschmerzen. Aus einer versorgungsepidemiologischen Perspektive sind allerdings in erster Linie die schwerwiegenden, prognostisch ungünstigen rheumatischen Erkrankungen bedeutsam. Für den einzelnen Betroffenen bringen diese Erkrankungen z.T. tiefgreifende Veränderungen seiner gesundheitlichen Integrität und seiner Lebenssituation mit sich. Sie bürden ihm eine Fülle von Lasten und Leiden auf, die nicht nur ihn selbst betreffen, sondern auch seine Angehörigen und das gesamte soziale Umfeld berühren. In medizinischer Hinsicht gehen sie mit einem hohen diagnostischen und therapeutischen Aufwand einher und erfordern differenzierte sowie komplexe rheumatologische Versorgungsstrukturen.

Die Häufigkeit dieser schwerwiegenden rheumatischen Erkrankungen wird auf etwa 4% der erwachsenen Bevölkerung geschätzt (Memorandum der DGRh 1994). Bezogen auf alle rheumatischen Erkrankungen sind sie damit zahlenmäßig von eher untergeordneter Bedeutung. Auf der anderen Seite binden diese Erkrankungen den größten Teil der spezialisierten rheumatologischen Ressourcen und machen gleichzeitig innerhalb der Gesamtkosten für die Behandlung rheumatischer Erkrankungen den weitaus größten einzelnen Kostenblock aus.

Hauptdiagnosen innerhalb dieser Gruppe von Krankheiten sind die chronische Polyarthritis mit einer Häufigkeit von etwa 0.8-1,2% der erwachsenen Bevölkerung, die à seronegativen Spondarthritiden mit einer etwa gleich hohen Häufigkeit sowie die Kollagenosen und Vaskulitiden. Diese Erkrankungen verlaufen besonders schwer, sind mit einem hohen Risiko von Rezidiven und einer chronisch-progredienten Verschlechterung belastet und weisen zudem eine deutlich erhöhte Mortalitätsrate auf. Ihre Versorgung geht deshalb mit einem besonders hohen diagnostischen und therapeutischen Aufwand einher.

Die Behandlung erfordert zudem wegen der zahlreichen krankheits- und therapiebedingten Komplikationen spezielle Methoden und Erfahrungen; wegen der großen Variabilität der Krankheitsmanifestationen mit Beteiligung der unterschiedlichsten Organe und Organsysteme ist zugleich ein kompetentes Versorgungsmanagement mit der Koordination der interdisziplinären Zusammenarbeit verschiedener Spezialisten notwendig.

Andererseits gehört diese Krankheitsgruppe zu den Erkrankungen, bei denen in den vergangenen Jahren durch andere therapeutische Ansätze erhebliche Fortschritte erzielt werden konnten. Für einzelne dieser Erkrankungen wie zum Beispiel die chronische Polyarthritis (oder auch rheumatoide Arthritis) können diese Fortschritte sogar fast dramatisch genannt werden. Galt diese Erkrankung noch vor Jahren als unheilbar und führte sie bei der Hälfte der Patienten dazu, daß sie nach einer Krankheitsdauer von 10 Jahren rollstuhlabhängig waren, werden heute immer mehr Patienten gesehen, bei denen unter optimalen Bedingungen eine anhaltende komplette Remission erzielt werden kann.

Wesentliche Voraussetzungen dafür sind eine frühe Diagnosestellung, die rechtzeitig eingeleitete, qualifiziert durchgeführte Therapie, eine engmaschiges rheumatologisches Monitoring im Verlauf sowie eine gute Kooperation aller Therapeuten.

Reale Versorgungssituation

Im Memorandum der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie (1994) sowie im Rheumabericht der Bundesregierung wird als Anhaltszahl für eine ausreichende, flächendeckende rheumatologische Versorgung ein Mindestbedarf von einem internistischen Rheumatologen auf 150.000 Einwohner angegeben. Nach Zahlen des Berufsverbandes Deutscher Rheumatologen ist dieser Mindestbedarf bezogen auf das gesamte Bundesgebiet mit einem Verhältnis von einem internistischen Rheumatologen auf ca. 200.000 Einwohner noch nicht erreicht. Besonders problematisch ist dabei eine erhebliche Disparität in der Versorgung. So sind selbst in Ballungsgebieten zum Teil Verhältniszahlen von einem internistischen Rheumatologen auf mehr als 500.000 Einwohner zu finden. Die Anforderung von § 70 SGB V, daß eine gleichmäßige Versorgung zu gewährleisten sei, ist damit für die Rheumatologie nicht erfüllt.

Folgen der rheumatologischen Unterversorgung

Die Folgen der rheumatologischen Unterversorgung sind durch die Ergebnisse der Kerndokumentation der BMG-geförderten Rheumazentren dokumentiert (Bundesministerium für Gesundheit). So betrug beispielsweise für die seropositive chronische Polyarthritis der Zeitraum zwischen Krankheitsbeginn und Erstvorstellung beim Rheumatologen in Deutschland im Jahre 1997 im Mittel 1,6 Jahre, für die ankylosierende Spondylitis (M. Bechterew) sogar 7,8 Jahre. Bei 14% der Patienten mit chronischer Polyarthritis erfolgte die Erstvorstellung bei einem Rheumatologen sogar erst nach einer Krankheitsdauer von 5 Jahren.

Durch Longitudinaluntersuchungen an Patienten mit chronischer Polyarthritis ist mittlerweile gut belegt, daß bei unzureichender Behandlung bereits innerhalb der ersten 2 Jahre der Erkrankung irreparable Schäden entstehen. Diese lassen sich durch eine rechtzeitige rheumatologische Mitbehandlung reduzieren oder günstigstenfalls sogar verhindern (Zink 1999, Pincus 2000). Als rheumatologische Mitbehandlungsfrequenz wird dazu in Abhängigkeit von der Diagnose und der Schwere des Krankheitsfalls ein Rheumatologenkontakt von durchschnittlich einmal pro Monat bis einmal pro Quartal angegeben (Zink 1999, Pincus 2000).

Untersuchungen zu den sozialen Folgen der chronischen Polyarthritis zeigen weiterhin, daß innerhalb der ersten zwei Krankheitsjahre bereits 18% der Patienten mit einer chronischen Polyarthritis wegen ihrer Erkrankung erwerbsunfähig berentet wurden und weitere 9% ohne EU-Berentung wegen der Arthritis aus dem Erwerbsleben ausgeschieden waren (Mau und Merkesdahl 1999). Nach einer Krankheitsdauer von durchschnittlich 5 Jahren sind etwa die Hälfte der Patienten mit einer chronischen Polyarthritis krankheitsbedingt wegen Erwerbsunfähigkeit berentet. Eine eigene Studie zeigt, daß sich dieser Anteil selbst bei verspätet einsetzender rheumatologischer Mitbehandlung in einem komplexen therapeutischen Setting noch um 20% reduzieren läßt (Langer et al. 1997). Die Daten der Kerndokumentation zeigen für Patienten mit chronischer Polyarthritis, die regelmäßig rheumatologisch mitbetreut werden, kürzere AU-Zeiten im Vergleich zu Patienten, die nicht rheumatologisch betreut werden (Zink 1999).

Die Ergebnisse dieser Studien und die Daten aus kontrollierten klinischen Studien (Menninger und Rau 1995, van Riel et al. 1995) lassen vermuten, daß durch eine frühzeitige rheumatologische Intervention die gesundheitlichen und sozialen Folgen der chronischen Polyarthritis erheblich reduziert werden können. Die rheumatologische Unterversorgung bedeutet damit nicht nur verpaßte therapeutische Chancen für die Betroffenen, sondern belastet auch das System der sozialen Sicherung mit erheblichen Kosten.

Sie betreffen neben den direkten Krankheitskosten vor allem auch die indirekten Kosten. Alle rheumatischen Krankheiten (Krankheiten des Skeletts, der Muskeln und des Bindegewebes) zusammengenommen sind dabei für die Arbeitsunfähigkeit von besonderer Bedeutung. Sie verursachten 1994 25,6% aller durch Arbeitsunfähigkeit verlorenen Erwerbstätigkeitsjahre und stehen damit in der Krankheitsursachenstatistik an erster Stelle vor den Verletzungen und Vergiftungen mit einem Anteil von 16,6% (Statistik des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger des Jahres 1994, GdB 2000).

Die Verbesserung der rheumatologischen Versorgung ist deshalb nicht nur eine medizinische, menschliche und soziale Aufgabe, sondern auch eine Strukturmaßnahme mit einem bedeutsamen Einsparpotential für das Gesundheitssystem.

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