Der systemische Lupus erythematodes (SLE) gehört zu den Autoimmunerkrankungen. Charakteristisch ist eine schmetterlingsförmige Hautrötung im Gesicht, das sogenannte Schmetterlingserythem, das allerdings nicht bei allen Patienten auftritt. Systemisch bedeutet, daß es sich beim SLE um eine Erkrankung handelt, die den ganzen Organismus betrifft und bei der viele Organe befallen sein können. Häufig ist eine Beteiligung der Gelenke (Arthritis) sowie eine Entzündung anderer seröser Häute (Schleimhäute) wie Rippenfell (immunologisch vermittelte Rippenfellentzündung = Pleuritis) oder Herzbeutel (Herzbeutelentzündung = Perikarditis), entweder einzeln oder in Kombination (in diesem Fall spricht man von einer Polyserositis von poly = viel). Weitere Organmanifestationen sind u.a. eine Entzündung der Herzklappen (Endokarditis, nach ihrem Erstbeschreiber Libman-Sacks-Endokarditis benannt), des Herzmuskels (Myokarditis), der Nieren (Nephritis, Glomerulonephritis) und des Nervensystems (Nervenentzündungen, Gehirnbeteiligung mit Verwirrtheitszuständen, aber auch Depressionen, desweiteren Durchblutungsstörungen bis hin zu Schlaganfällen).
Betroffen sind überwiegend Frauen (Verhältnis Frauen : Männer 9:1). Deshalb werden hormonelle Faktoren als Auslöser oder zumindest Einflußfaktoren vermutet. Dafür spricht auch, daß es durch die Einnahme der Pille zur Empfängnisverhütung zum Auftreten eines SLE kommen kann oder dadurch Schübe ausgelöst werden. Ein weiteres Indiz für einen Zusammenhang zwischen weiblichen Sexualhormonen und SLE ist die Erfahrung, daß es nach einer Entbindung zum ersten Auftreten eines SLE oder zu SLE-Schüben kommen kann.
Andere Beobachtungen sprechen für die Möglichkeit, daß ein SLE durch virale Infekte ausgelöst werden kann. Die genaue Ursache des SLE ist heute jedoch nicht genau bekannt.
Neuere Forschungsergebnisse deuten darauf hin, daß Regulationsstörungen beim programmierten Zelltod (der sogenannten Apoptose) ein wichtiges Glied in der Ursachenkette bei der Entstehung eines systemischen Lupus erythematodes darstellen.
Üblicherweise sterben Zellen im Körper nach einer bestimmten, vorgesehenen Dauer ab und werden durch neue Zellen ersetzt. Spezialisierte Zellen des Immunsystems sorgen dafür, daß diese abgestorbenen Zellen abgeräumt und quasi entsorgt werden, solange sie noch intakt sind und bevor sie sekundär nekrotisch werden, d.h. bevor ein unkontrollierter Zerfall einsetzt.
Bei SLE scheint dieses rechtzeitige Abräumen apoptotischer Zellen gestört zu sein, so daß die abgestorbenen Zellen zu lange liegen bleiben und ungeplant zerfallen. Dabei setzen sie intrazelluläre, in der Zelle lokalisierte Strukturen frei, die normalerweise für das Immunsystem unsichtbar sind. Dazu gehört die Trägersubstanz der Erbinformation, die DNA, gegen die nun Antikörper gebildet werden können (der Nachweis von Antikörpern gegen doppelsträngige DNA = dsDNA-AK ist ein wesentlicher diagnostischer Test für den Nachweis eines SLE; allerdings sind diese Antikörper nicht in jedem Patienten und / oder zu jedem Zeitpunkt der Erkrankung nachweisbar).
Immunologisch ist der systemische Lupus erythematodes im weiteren gekennzeichnet durch eine vermehrte Interferon-γ-Ausschüttung (INF-γ, proentzündliches Zytokin) der dendritischen Immunzellen. Das führt u.a. zu einer Hyperaktivität von B-Lymphozyten, die Auto-Antikörper bilden. Da sich die Auto-Antikörper bei SLE meist gegen Zellkernbestandteile richten (anti-nuclear antibodies = ANA), erklärt sich, warum die Erkrankung nicht auf ein bestimmtes Organ beschränkt ist. Daher ist einerseits die Diagnose manchmal schwierig und andererseits sind deshalb die Erscheinungsformen der Krankheit sehr vielfältig.
Früher war der SLE eine sehr gefährliche Erkrankung mit einer hohen Sterblichkeitsrate bei akuten Schüben, vor allem bei der Beteiligung innerer Organe, und einer statistisch gesehen erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung. Durch die heutigen Therapiemöglichkeiten mit immunmodulierenden Medikamenten (Medikamente, die das Immunsystem quasi wieder auf den richtigen Weg zurückführen), Immunsuppressiva (Immunsystem-hemmende Medikamente) und neuerdings auch Biologika (biotechnologisch hergestellte Substanzen) hat sich die Prognose des SLE erheblich gebessert. Die Patienten haben heute bei adäquater Behandlung in der Regel eine normale Lebenserwartung.
Diagnostik des SLE
Serologische Marker
Bei den serologischen Tests sind Untersuchungen zur Diagnostik / Differentialdiagnostik zu unterscheiden von Parametern, die die Krankheitsaktivität monitoren helfen.
Diagnostische Tests sind für den SLE der Nachweis von antinukleären Antikörpern (ANA; Suchtest; typischerweise auf Lupus hindeutend ist ein homogenes Fluoreszenzmuster), ein positiver Crithida-Test (qualitativer Nachweis von Antikörpern gegen doppelsträngige DNS), der Nachweis von Antikörpern gegen doppelsträngige DNA (dsDNA-Ak; spezifischer Befund für den SLE) sowie von SM-Antikörpern (ENA, die eine hohe Spezifität für den SLE aufweisen).
Tests zum Monitoring der Krankheitsaktivität:
Nach den bekannten Studien sind lediglich die dsDNA-Ak für ein Monitoring der Krankheitsaktivität im Verlauf des SLE geeignet, und dies auch nur im intraindividuellen Vergleich. Die absolute Höhe der dsDNA-Ak alleine besagt nichts oder wenig über die Krankheitsaktivität; ein Absinken der Werte im Verlauf unter Therapie sprechen jedoch schon für ein Ansprechen der Behandlung, ebenso muß man bei einem Anstieg an einen neuen beginnenden Krankheitsschub denken. Die Höhe des ANA-Titers korreliert nicht mit der klinischen Aktivität.
Ein wichtiger Parameter ist desweiteren das c-reaktive Protein (CRP). CRP-Werte korrelieren beim Lupus eher nicht mit der Krankheitsaktivität; wenn es deshalb im intraindividuellen Verlauf zu einem deutlichen Anstieg der CRP-Werte kommt und klinisch differentialdiagnostisch die Frage im Raum steht, ob das Fieber Ausdruck eines Lupus-Schubes oder einer Infektionskomplikation ist, deutet ein hohes CRP auf eine (in der Regel bakterielle) Infektionskomplikation.
"ANA-negativer" SLE
Es sind Meinungen bekannt, daß es einen "ANA-negativen" SLE nicht gibt, sondern nur Labors, die die ANAs nicht adäquat erfassen. Nach der Literatur liegt der Anteil von Patienten mit "ANA-negativem" SLE unter 1%. Bei fehlenden ANA sollte man mit der Diagnose eines SLE äußerst vorsichtig sein, vor allem unter dem Aspekt, daß es ja in Abhängigkeit von der Symptomkonstellation eine ganze Anzahl an anderen differentialdiagnostisch in Frage kommenden Krankheitsbildern gibt.
Therapie des SLE
Grundsätzlich gehört eine Patientin (ein Patient) mit systemischem Lupus erythematodes in die Behandlung eines Spezialisten (internistischer Rheumatologe oder Immunologe) an entsprechend ausgestatteten Zentren. Insofern sollen hier nur grobe therapeutische Anhaltspunkte dargestellt werden. Im wesentlichen kommen heute bei der medikamentösen Therapie des SLE Steroide (Cortison) und immunsuppressive / immunmodulatorische Medikamente (Immunsuppressiva) zum Einsatz. Die wesentlichen differentialtherapeutischen Aspekte werden im folgenden dargestellt.
Steroide:
Steroide (Cortison) sind die Medikamente der Wahl zur Beherrschung der Akutsituation, insbesondere auch bei lebensbedrohlichen Komplikationen (ZNS-Beteiligung, Lupus-Nephritis, Perikarditis etc.). In der Akutsituation ausreichend hoch dosieren (1-1,5-2mg/kg KG, ggf. fraktionierte Dosis)! In der Langzeittherapie sind Steroide manchmal zum Remissionserhalt unverzichtbar; angestrebt werden sollte jedoch zur Vermeidung von Langzeitschäden eine so geringe Dosis wie irgend möglich (nach Möglichkeit 5 mg Prednisolon-Äquivalent oder niedriger anstreben).
Immunmodulierende Medikamente:
In diese Substanzgruppe fallen in erster Linie Anti-Malaria-Mittel (Chloroquin / Hydroxychloroquin z.B. Resochin). Sie spielen eine Rolle bei der Steroideinsparung und Remissionsinduktion bei leichteren SLE-Verläufen; ein gutes Ansprechen wird außerdem bei Hautmanifestationen berichtet.
Immunsuppressiva:
Die traditionelle immunsuppressive Therapie bei SLE erfolgte mit Azathioprin ( z.B. Imurek). Bei speziellen Manifestationen (z.B. Lupus-Nephritis) deuten Studien jedoch auf eine unzureichende Wirkung; in diesen Fällen ist der Einsatz von Cyclophosphamid ( z.B. Endoxan) obligat. Es wird zum Remissionserhalt auch beim SLE Methotrexat eingesetzt. In Einzelfällen ist auch eine gute Wirkung von Ciclosporin (z.B. Immunosporin) beschrieben; größere Studien über den Einsatz von Ciclosporin beim SLE sind jedoch nicht bekannt.
Prognose des SLE und Vorbeugungsmaßnahmen im Hinblick auf schubauslösende Faktoren und Situationen
Es gibt beim SLE langanhaltende Remissionen, d.h. zum Teil Jahre und Jahrzehnte anhaltende freie Intervalle. Die Wahrscheinlichkeit einer anhaltenden Remission steigt mit der Dauer einer kompletten Remission, d.h. Patienten, die lange keine Krankheitsaktivität hatten, haben eine hohe Chance, daß dies so bleibt.
Eine komplette Remission bedeutet dabei das Freisein von Symptomen und das Fehlen von Zeichen einer Krankheitsaktivität, z.B. bei Blutuntersuchungen.
Zu unterscheiden ist dabei noch, ob die Remission dadurch besteht, daß gegenwärtig noch Medikamente wie Cortison, Immunsuppressiva oder immunmodulierende Medikamente eingenommen werden, oder ob die Remission nach vorsichtigem Ausschleichen / Absetzen dieser Medikamente anhält.
Die günstigste Prognose haben Patienten, die sich ohne Medikamente in einer kompletten Remission befinden.
Allerdings kann es jederzeit wieder zu einem neuen Schub kommen.
Mögliche Auslöser sind alle Situationen, die mit starkem "immunologischen Streß" verbunden sind, darüber hinaus andere Faktoren, über deren Einfuß man die genauen Einzelheiten nicht kennt. Im Hinblick auf die Möglichkeit von Vorbeugungsmaßnahmen oder entsprechenden Verhaltensmaßnahmen sind praktisch bedeutsam z.B. mögliche Schubauslöser wie:
- Intensive Sonneneinstrahlung, intensive UV-Strahlung, z.B. bei einem Urlaub im Hochgebirge (besonders kritisch: Skiurlaub im Hochgebirge) oder bei einem Urlaub im Sommer in Südeuropa oder vergleichbaren Gegenden (besonders kritisch: Urlaub in solchen Gegenden am Meer), aber auch Sonnenbank (!)
- Starker Klimawechsel, u.U. verstärkt durch starke Zeitumstellung, z.B. bei Fernreisen nach Asien, Südamerika, Südafrika, Pazifik, Australien
- Bei Frauen Schwangerschaft (kritisch ist besonders die Phase unmittelbar nach der Entbindung; Schübe treten erfahrungsgemäß in einem Zeitraum von wenigen Wochen nach der Entbindung auf)
- Einnahme von Hormonpräparaten (besonders östrogen-haltige Präparate, dazu gehört bei Frauen auch die "normale" (östrogenhaltige) Pille zur Empfängnisverhütung)
- Starke psychische oder soziale Belastungssituationen ("psychosozialer Stress"). Unbeeinflußbar sind solche lebensverändernde Ereignisse wie der Verlust eines nahestehenden Menschen durch Erkrankung oder Unfall oder eigene, andere Erkrankung oder Unfall. Beeinflußbar, wenn manchmal allerdings nur mit Schwierigkeiten und unter Umständen manchmal auch nur mit professioneller Hilfe, sind starke Belastungssituationen am Arbeitsplatz (Überlastung, Mobbing), in der Familie (Partner, Kinder, Eltern, Schwiegereltern etc.) oder in der Freizeit (z.B. Überlastung / Überforderung bei Hobbies, in Vereinen oder bei anderen ehrenamtlichen Tätigkeiten).
- Starke physische Belastung / Überlastung (z.B. extensiver Sport oder "Gewalttouren" im Urlaub)
- Virale Infekte (?). Es gibt bestimmte Virusinfektionen, die mit einer deutlichen Autoimmunreaktion einhergehen können (z.B. Entwicklung hoher antinukleärer Antikörper). Ob sie für die Auslösung eines systemischen Lupus erythematodes verantwortlich sein können oder Schübe hervorrufen können, ist nicht bewiesen, aber Gegenstand zahlreicher Hypothesen und wissenschaftlicher Untersuchungen. Gegen Virusinfektionen wird man sich im täglichen Leben nicht sicher schützen können, wenn man mit Genuß am sozialen Leben teilhaben will. Allerdings kann man mit einer gewissen Vorsicht und mit der Einhaltung der bekannten Vorsichtsmaßnahmen die Wahrscheinlichkeit von viralen Infektionen reduzieren.
Siehe auch unter:
Fragen und Antworten: Diagnostik und Therapie des systemischen Lupus erythematodes (SLE)
Fragen und Antworten: Systemischer Lupus erythematodes
Fragen und Antworten: Vor- und Nachteile von Gold/MTX
Fragen und Antworten: Christof Schneider: Lupus erythematodes
Fragen und Antworten: Georg Schaffers, Lupus/Resochin
Datenbank SLE
Lupus-Organmanifestationen:
Gelenke 96%
Lymphknoten 89%
Pleura 77%
Haut 74%
Anämie 57%
Niere 51%
Leukopenie 43%
Lunge 33%
Perikard 33%
ZNS 27%
Leber 23%
Auge 13%
Milz 12%
Myokard 11%
Thrombopenie 10%
Einstufung der Lupus-Nephritis-Formen nach den Kriterien der WHO:
- Klasse 1:
Normale oder minimale Erkrankung der Glomeruli - erfordert keine Behandlung.
- Klasse 2:
Mesangial - Milde Nierenbeteiligung, was durch Blut (Hämaturie) und kleine Mengen an Proteinen (weniger als 1 Gramm in 24 Stunden) im Urin angezeigt wird.
- Klasse 3:
Fokal proliferativ - Entzündungen in weniger als 50% der Glomeruli, die manchmal sehr schwer sein können. Kann die Funktion der Nieren herabsetzen. Zelluläre Zylinder im Urin, Proteinurie (Proteine im Urin) mehr als 0,5 Gramm in 24 Stunden, verringertes C3-Komplement, positive anti-DNS-Antikörper, hoher Blutdruck, möglicherweise erhöhtes Serum-Kreatinin.
- Klasse 4:
Diffus proliferativ - Entzündungen betreffen mehr als 50% der Glomeruli. Gleiche Befunde wie bei Klasse 3, jedoch ausgeprägter. Dies ist der schwerste Typ der Nierenbeteiligung.
- Klasse 5:
Membranöse Nephropathie - Ablagerungen von Immunkomplexen in der Basalmembran, aber geringe Entzündungszeichen. Hohe Proteinverluste über die Nieren. Im allgemeinen weniger schwer als der proliferative Typ. Ungewöhnlicherweise sind die Komplementspiegel normal und anti-DNS-Antikörper nicht vorhanden.
- Klasse 6:
Sklerotisch - Vernarbte Nieren im Endstadium; irreversibel.
H. Köhler, Universitätskliniken Homburg
Schmetterling Nr. 45 (1999), 18-26