Anakinra (Handelsname: Kineret) ist ein Medikament zur Behandlung der rheumatoiden Arthritis / chronischen Polyarthritis, außerdem zur Therapie von sehr seltenen Krankheitsbildern, die unter der Sammelbezeichnung CAPS (Cryopyrin-Assoziierte Periodische Syndrome) zusammengefaßt sind. Es gehört in die Gruppe der biologischen Therapien („Biologika“, bDMARDs) und greift damit gezielt in zentrale Mechanismen bei der Entstehung und Ausbreitung der Erkrankung ein. Innerhalb dieser Klasse zählt es zu den Interleukin-1-Blockern.
Anakinra ist vom Wirkmechanismus her ein langwirksames Antirheumatikum und wirkt damit nicht nur auf die Symptome der rheumatoiden Arthritis, sondern beeinflusst auch langfristig den Verlauf der Krankheit, beispielsweise hemmt es das im Röntgenbild sichtbare Fortschreiten der Erkrankung (sogenannte Röntgenprogression).
Interleukin-1 (IL-1) ist eine pro-inflammatorische, entzündungsauslösende und entzündungsfördernde körpereigene Substanz. IL-1 spielt eine wichtige Rolle bei der Entstehung von rheumatischen Entzündungen und bei der rheumatischen Gelenkschädigung. Bei Patienten mit rheumatoider Arthritis wird IL-1 in erhöhtem Maße vom Körper produziert und findet sich vor allem in den entzündeten Gelenken. Bei einer Gruppe von sehr seltenen vererbbaren Erkrankungen, den Cryopyrin-Assoziierten Periodischen Syndromen (CAPS), kommt es durch einen sogenannten autoinflammatorischen Prozeß zu einer unkontrollierten Überproduktion von Interleukin-1beta (Il-1β). In der Folge treten heftige entzündliche Reaktionen auf wie Fieber, Erhöhung der Akute-Phase-Proteine im Serum (Entzündungswerte im Blut), Gelenkschmerzen und Arthritis bis hin zu Knorpel- und Knochenzerstörungen, Organbeteiligungen (Augen, Ohr, Gehirn) und schlimmstenfalls erhöhter Sterblichkeit.
Normalerweise wird vom Körper selber ein Hemmstoff produziert, der die Wirkung von IL-1 entweder von vorneherein verhindert oder aber bei einem Überschuss von IL-1 z.B. in einem Gelenk seine Wirkung abbremst und schließlich beendet. Dieser Mechanismus geschieht mit Hilfe eines sogenannten IL-1-Rezeptorantagonisten (ein Antagonist ist ein Gegenspieler zu einem „Agonisten“, also einem „Spieler“ oder neudeutsch „Gameplayer“).
Anakinra ist ein Interleukin-1-Rezeptorantagonist (IL-1Ra) und war weltweit der erste, in medikamentöser Form vorliegende direkte und selektive, d.h. ganz gezielte IL-1-Hemmstoff, der am IL-1-Rezeptor Typ 1 mit IL-1β oder IL-1α konkurriert. Dieser Hemmstoff wird biotechnologisch hergestellt und ist eine sogenannte rekombinante Version des bereits erwähnten, im Körper vorkommenden „natürlichen“ Interleukin-1-Rezeptorantagonisten (IL-1Ra). Man könnte Anakinra eine biotechnologisch hergestellte Originalkopie eines körpereigenen Stoffes nennen.
Durch die medikamentöse Verabreichung des Rezeptorantagonisten IL-1Ra wird der Überschuss von IL-1, der sich bei der rheumatoiden Arthritis in den Gelenken findet oder IL-1β, das bei den CAPS-Syndromen völlig unkontrolliert produziert wird, blockiert und damit auch die entzündungsauslösende Wirkung von IL-1. Man könnte Anakinra in Analogie zu den TNF-alpha-Blockern damit auch als IL-1-Blocker oder IL-1-Hemmer bezeichnen.
Da es sich bei den Rezeptorantagonisten um Eiweißstoffe handelt, können sie leider nicht als Tabletten gegeben werden, da die Wirksubstanz von der Magensäure zerstört würde. Anakinra wird deshalb als Spritze verabreicht (sogenannte Subkutan-Injektion oder s.c.-Injektion; s.c. = subcutan = unter die Haut). Da die Wirkung von Anakinra nach der subkutanen Injektion im Laufe von 24 Stunden abklingt, muss die Injektion täglich wiederholt werden. Diese kurze Halbwertszeit, also die Zeit, in der sich die Konzentration eines Medikamentes im Körper halbiert, ist aber auch positiv zu beurteilen: Kommt es zu Unverträglichkeiten, oder muss das Präparat aus anderen Gründen abgesetzt werden, wird Anakinra schnell aus dem Körper eliminiert.
Anakinra ist bei der Therapie der rheumatoiden Arthritis eine krankheitsmodifizierende Substanz und wirkt deshalb nicht so schnell wie Cortison oder rein symptomatisch wirkende Medikamente wie cortisonfreie Entzündungshemmer, d.h. nicht innerhalb von Stunden, sondern benötigt bis zum vollständigen Wirkungseintritt etwas länger. In der Regel kommt es aber innerhalb von 2 Wochen zu einer deutlichen Verbesserung mit einer nachfolgenden weiteren kontinuierlichen Verbesserung. Die meisten Patienten erreichen die maximale Wirksamkeit im Verlaufe von 3 Monaten. Allerdings sieht man in den Studien z.T. auch eine weitere Verbesserung in den nächsten Monaten.
Ergebnisse klinischer Studien zeigen, dass die Behandlung einer rheumatoiden Arthritis mit Anakinra hochwirksam ist, insbesondere auch im Hinblick auf die Hemmung der Gelenkschädigung. Allerdings wirkt Anakinra nicht in jedem Fall. In den vorliegenden Studien sprachen bis zur Hälfte der Patienten auf die Behandlung mit Anakinra nicht an. Leider wissen wir (wie übrigens auch bei den anderen langwirksamen, krankheitsmodifizierenden Medikamenten) nicht, welche Patienten mit einer rheumatoiden Arthritis von einer Anakinra-Behandlung besonders profitieren. Leider weiß man auch nicht, ob es durch eine Behandlung mit Anakinra zu einer dauerhaften Heilung der Erkrankung kommt. Nach Absetzen der Substanz kam es in den klinischen Studien erneut zum Auftreten von Symptomen der rheumatoiden Arthritis.
Bei den Cryopyrin-Assoziierten Periodischen Syndromen (CAPS) wirkt Anakinra sehr schnell, z.T. bereits innerhalb von 24 bis 48 Stunden. Bereits eine Injektion kann ausreichen, daß ein zuvor hohes Fieber vollkommen verschwindet, und Gelenkschmerzen und Arthritis können innerhalb von 48 Stunden abklingen. Da durch die Therapie mit Anakinra die zugrundeliegende Störung zwar kontrolliert, aber nicht beseitigt wird (die genetisch bedingte unkontrollierte Überproduktion von IL-1ß wird durch die Verabreichung des Gegenspielers zwar in ihren Folgen beherrscht, aber nicht im Kern beeinflußt), treten die Symptome unter einer Therapiepause mit Anakinra genauso schnell wieder auf, wie sie unter der Therapie abgeklungen sind.
Anakinra ist wie jedes andere hochwirksame Medikament nicht vollkommen nebenwirkungsfrei. In den Studien war es insgesamt jedoch recht verträglich. Allerdings kam es bei etwa der Hälfte der Patienten, die in den Studien mit Anakinra behandelt wurden, zu einer Hautreaktion an der Einstichstelle der Injektion, meistens in Form einer Rötung und von Juckreiz, z.T. aber auch zu Schwellungen, ausgedehnteren Rötungen und auch Schmerzen an dieser Stelle. Eine richtige Injektionstechnik trägt dazu bei, daß solche Reaktionen seltener und weniger schwer auftreten. Selbst bei optimaler Spritztechnik lassen sich diese Hautreaktionen aber bei nicht immer vermeiden.
Anakinra ist kein Immunsuppressivum im engeren Sinne, d.h. es ist kein Medikament, das seine Wirkung durch die breite Unterdrückung der Immunabwehr erzielt. Als IL-1-Blocker beeinflusst es aber die immunregulative Wirkung von Interleukin-1 und greift damit in das Immunsystem ein. In den klinischen Studien war deshalb erwartungsgemäß die Rate an Infektionen gegenüber Placebo etwas erhöht. Allerdings sind schwere, ernste Infektionen unter Anakinra selten. Bei Patienten mit erhöhter Infektanfälligkeit ist deshalb bei einer Therapie mit Anakinra besondere Vorsicht geboten; u. U. kann bei Ihnen je nach individueller Situation sogar eine sogenannte Kontraindikation vorliegen, d.h. das Medikament kann dann bei ihnen nicht zum Einsatz kommen. Tritt bei Patienten mit rheumatoider Arthritis unter einer laufenden Therapie mit Anakinra eine Infektion auf, sollte die Therapie in Absprache mit dem behandelnden Arzt ggf. unterbrochen werden. Nach Abschluss der eventuell notwendigen antibiotischen Behandlung des Infektes und endgültigem Abklingen der Infektion kann die Therapie mit Anakinra in der Regel dann wieder fortgesetzt werden. Bei mit Anakinra behandelten CAPS-Patienten gilt zu beachten, dass es beim Abbruch einer Therapie zu Krankheitsschüben kommen kann. Um Krankheitsschübe zu vermeiden wurde in der grundlegenden CAPS-Zulassungsstudie 03-AR-0298 die Therapie mit Anakinra bei allen bis auf einen Patienten trotz Infektion fortgeführt und gut vertragen. Als Faustregel gilt: Bei Infektionen sollten zusammen mit dem behandelnden Arzt die möglichen Nutzen und Risiken abgewogen werden. Im Falle einer Entscheidung für die Weiterführung einer Anakinra-Therapie während einer Infektion ist eine sorgfältige Therapieüberwachung besonders wichtig.
Wie bei allen biologischen Medikamenten sind daneben die Kosten einer Behandlung mit Anakinra nicht zu unterschätzen. Eine solche Therapie kommt deshalb in erster Linie für Patienten mit einer schwereren oder sehr schweren rheumatoiden Arthritis infrage und sollte nur von Rheumaspezialisten mit entsprechender Erfahrung eingeleitet sowie im Verlauf kontrolliert und überwacht werden. Unter entsprechenden Bedingungen und Voraussetzungen sollte auch der Einsatz in der Kinderheilkunde, d.h. bei der Behandlung der Cryopyrin-Assoziierten Periodischen Syndrome (CAPS), erfolgen.
In den USA wurde die Substanz am 16. November 2001 von der FDA (Food and Drug Administration, amerikanische Arzneimittelbehörde) unter dem Namen Kineret® zur Behandlung der aktiven rheumatoiden Arthritis bei Erwachsenen zugelassen, die auf eines oder mehrere langwirksame Antirheumatika (sogenannte DMARDs = disease modifying antirheumatic drugs) unzureichend angesprochen haben. Anakinra kann dabei als Einzeltherapie oder als Kombinationstherapie mit DMARDs verabreicht werden.
Am 8. März 2002 wurde von der europäischen Zulassungsbehörde EMA für Anakinra die Zulassung zur Therapie von Patienten erteilt, die nicht ausreichend auf eine vorausgegangene Behandlung mit Methotrexat (Mtx) angesprochen hatten. Anakinra wird bei diesen Patienten in Kombination mit Methotrexat verwendet. Da in den Vereinigten Staaten Anakinra auch für die Monotherapie der chronischen Polyarthritis / rheumatoiden Arthritis zugelassen ist, d.h. als alleiniges krankheitskontrollierendes Medikament auch ohne die Kombination mit Methotrexat, ist diese Anwendung unter bestimmten Bedingungen auch bei uns möglich, etwa wenn Methotrexat nicht vertragen wird. In Deutschland ist Anakinra seit dem 1. April 2002 unter dem Handelsnamen Kineret® in den Apotheken erhältlich. Die klinische Entwicklung erfolgte durch den US-amerikanischen pharmazeutischen Hersteller AMGEN. Seit 2010 ging die Verantwortung für Kineret® auf den schwedischen Pharma-Hersteller Swedish Orphan Biovitrum (Sobi) über.
Im Dezember 2012 erhielt Kineret® von der FDA die Zulassungserweiterung für eine Gruppe sehr seltener Krankheitsbilder, die sogenannten NOMID/CINCA-Syndrome (Neonatal-Onset-Multisystem Inflammatory Disease bzw. Chronisches Infantiles Neuro-Kutaneo-Artikuläres Syndrom). Mit dieser Zulassungserweiterung war Kineret das erste und einzige von der FDA zugelassene Präparat für diese Erkrankungen.
Die europäische Zulassungsbehörde EMA erteilte Kineret® am 20.11.2013 die Zulassungserweiterung für die Behandlung der sogenannten Cryopyrin-Assoziierten Periodischen Syndrome (CAPS). CAPS schließt die NOMID- und CINCA-Syndrome ein, umfasst aber zusätzlich zwei weitere, ebenfalls sehr seltene Krankheitsbilder, nämlich das Muckle-Wells-Syndrom und das Familiäre Kälte-Autoinflammatorische Syndrom (Familiar Cold Autoinflammatory Syndrome, FACS). Die EMA-Zulassung geht damit über die FDA-Zulassung hinaus, d.h. auch für die Anwendung bei den Cryoprin-Assoziierten Periodischen Syndromen (CAPS) ist die offizielle Zulassung in den Vereinigten Staaten und in Europa unterschiedlich.
Mit der Zulassung für CAPS bezieht sich die Zulassung von Anakinra nun auch auf die Anwendung bei Kindern und Säuglingen ab 8 Monaten mit einem Körpergewicht von mindestens 10 kg. Zugleich erfolgt die Dosierung bei diesen Krankheitsbildern nicht nach einem starren Dosisschema (bei der rheumatoiden Arthritis werden kontinuierlich 100 mg pro Tag injiziert), sondern mit Anpassung an das Körpergewicht, an das klinische Bild und den jeweiligen Bedarf, der sich an dem Entzündungsstatus orientiert. Für die entsprechend notwendigen flexiblen Dosierungen wurde eine neue Fertigspritze mit einer Skale entwickelt, die mit der Zulassung für die CAPS-Therapie die früheren Fertigspritzen abgelöst hat. Für die Behandlung von CAPS ist ausschließlich diese sogenannte graduierte Spritze zu verwenden, welche seit dem 01.07.2014 auf dem deutschen Markt verfügbar ist.